Blumen für die Oma

Michael Jackson, Patrick Swayze, John Lennon – alles Leute, von denen Menschen behaupten, sie seien in ihrem Leben präsent gewesen.

Um es mit Zimmermann zu sagen: Vorsicht, Falle! Das, was man von einem Star zu wissen glaubt, ist lediglich unser Sammelsurium verschiedenster Medien, nicht zuletzt des persönlichen Tratsches unter Freunden („hast gehört, der X hat jetzt die Y geheiratet…“). Daß auf dem Weg von der Realität eines Swayze bis zu dessen zusammengestückelter Präsenz in unseren Hirnen einiges verfälscht wird, dürfte auch klar sein.

Irgendwie witzig: nie war es leichter, Informationen zu verbreiten und zu bekommen, aber gerade diese unsere „Informationszeitalter“ genannte Epoche bewirkt die zunehmende Verbreitung falscher Informationen. Wir leben im Desinformationszeitalter.

Gerüchte und Halbwahrheiten also, wohin man sieht. Deshalb ist die Wikipedia fürs schnelle oberflächliche Zusammensuchen ganz OK, wird aber in den seltensten Fällen als wissenschaftliche Literaturquelle akzeptiert. Warum? Ganz einfach: jeder kann reinschreiben, was er will – und tut das auch.

Swayze ist also eine Art Frankenstein. Lennon auch. Ebenso Michael Jackson. Zusammengestückelt aus Fragmenten, deren Ursprung höchst zweifelhaft ist und im Gesamtbild von extremen Nahtstellen übersäht. Und dann regen sich die Leute über Gunther von Hagens auf.

Eigentlich ist es auch nicht weiter schlimm, daß wir Prominente bzw. unser virtuelles Bild von ihnen in unserem Hirn haben, da es immer „Prominente“ gegeben hat – früher war es halt der Adel (diese Art Tratsch findet man heute noch bei unzähligen Friseursalon-Zeitschriften mit „Gala“ oder „Frau“ im Namen), der König, der irgendwas, dessen wahre Präsenz Lücken hatte, die man mit Phantasien hat anfüllen können und das ist letztendlich wohl etwas Menschliches: der Teil in unserem Hirn, der den Mangel an Wissen mit Phantasie ausfüllt. Da kommt uns die „Frau im Spiegel“ bzw. „Gala der Frau“ gerade recht, wird einem doch hier schon vorgesetzt, was man sich sonst mühsam selbst zusammendichten müßte. Irgendwie OK, vielleicht etwas dümmlich, aber verwerflich wohl eher nicht. Und jetzt komm mir keiner mit Musikexpress oder Stern oder Neon oder sonstwas. Ist letztendlich dasselbe. Mich interessiert nicht die Masse an Boulevard, sondern ob er in einer Zeitschrift stattfindet oder nicht. Eine Meldung über Boris Beckers neue Frau macht die ganze Zeitung kaputt.

Stellt sich nur noch die Frage, wieviel Platz man diesem realitätsfernen Teil in unserem Hirn einräumt. Wenn Leute Blumen eher ans Grab von Michael Jackson anstatt an jenes ihrer Oma legen, stimmt da irgendwas nicht. Oder wenn jetzt Leute den Angehörigen Michaels kondolieren auf irgendwelchen Seiten im Netz, aber bei Todesfällen im Umfeld ihrer eigenen Freunde kein Beilied aussprechen, nur weil sie Angst vor emotionalen Reaktionen haben. Dürftig irgendwie.

Die virtuelle Welt, gefüttert von Massenmedien, in der keine unangenehmen Fragen gestellt werden, in der alles aus Watte ist, will keiner zerstören. So eine Illusion ist wirklich schön. Und wenn dann Menschen kommen und dieses Wunschbild ins Wanken bringen, weil sie daran erinnern, daß etwas, was nur schön ist, nicht wirklich echt sein kann, kommt der Tod eines Prominenten wie gerufen. Der Tod – huhuuu – der böse, große Tod, der wird nirgends so eitel betrauert wie in der Zuckerwelt. Es ist so mega-peinlich, was Menschen alles vor Kameras tun, wenn sie wissen, daß jetzt ihre große Stunde gekommen ist, in der sie all ihre Emotionalität vor den Augen tausender ausleben können. Schließlich war das mit Michael ja alles so tragisch…

Es geht nicht um die Frage, ob man einen solchen Teil in sich hat oder nicht, denn wir alle haben ihn mehr oder weniger. Es geht vielmehr darum, dieses Vakuum des Nichtwissens produktiv zu füllen. Die ganzen Dinge, die wir in Trauer um Michael Jackson oder Patrick Swayze oder John Lennon tun, von diesen Trugbildern zu lösen und das Positive daran in unserem echten Leben stattfinden zu lassen.

Trauer um Patrick Swayze, Michael Jackson oder John Lennon: was nicht echt sein kann, weil diese Personen nicht echt sind für uns, sollte sich, wenn es denn schon unecht aber unaufhaltbar ist, auf keinen Fall negativ äußern. Heulen und so. Dann lieber lachen, so nach dem Motto: ach ja, der Swayze, der alte Hund. Fackeln im Sturm, ZDF, 20.15 Uhr, damals in der 2. Hälfte der Achtziger – das wars doch. Hach ja … schwelg … oh der Kaffee ist durch. Tja, R.I.P. nochmal und jetzt muß ich los, echte Dinge für echte Menschen tun.

Und das heißt:

Blumen für die Oma.

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