Burka, Kaftan, Kopftuch: so funktioniert Stigmatisierung

Bei daMax bin ich auf dieses youtube-Video gestoßen:

Es bestätigt meine Ansicht, daß Migranten vor allem unter dem kleinen, alltäglichen Faschismus leiden. Was ist das, der „kleine, alltägliche“ Faschismus?

Nun, viele Medien tun sich immer wieder durch enorm engagierte Berichte über die Neonazi-Szene hervor. Da wird dann darüber berichtet, daß es Prügel-Glatzen und Nazi-Aufmärsche gibt.

Natürlich ist das skandalös, aber mal ehrlich: um festzustellen, daß offene Gewalt gegen Afro-Deutsche verachtenswert ist, bedarf es nicht wirklich journalistischen Gespürs. Damit hat man sich nicht wirklich den Pulitzer-Preis verdient.

Die Presse soll doch eigentlich unbequem sein, oder nicht? Sie genießt genau dafür einen gewissen Schutz, das Privileg der Freiheit: um frei über heiße Eisen berichten zu können und damit die Funktion demokratischer Kontrolle ausüben zu können.
Sie legt sich an mit Mächten, oder zumindest sollte sie das.

Die Macht, die in obigem Video dargestellt wird, ist die der autochtonen Bevölkerung. Dieses Video ist der Beweis dafür, daß die Diskussion um Burka, Kaftan und Kopftuch von vornherein darauf ausgelegt war, Menschen zu stigmatisieren und vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Das Gespenst von den „Parallelgesellschaften“ ist hier gezielt an die Wand gemalt worden und es hat seine Wirkung nicht verfehlt: Menschen verbinden negative Urteile gegenüber anderen allein aufgrund ihrer Kleidung.

Vor allem die kalte Souveränität, mit der sie über Migranten in deren Beisein reden (man beachte das Paar, bei dem der Mann bei ca. 1:17 sagt: „…und wenn er jetzt trotzdem einer (Terrorist, Anm. d. V.) ist, was machst dann?“), spiegelt die chauvinistische Haltung wieder. So, als wäre der Mann im Kaftan, der Mensch, über den die da reden, überhaupt nicht anwesend. Als wäre er ein Hund, über dessen Bösartigkeit man im Tierheim spekuliert. Oder ein gebrauchtes Auto, das evtl. kaputt ist, irgendwelche Mängel hat.

Das meine ich mit alltäglichem Faschismus. Ich habe so dermaßen oft erlebt, daß Leute in meinem Beisein Türkenwitze erzählt haben, ohne überhaupt zu merken, daß es mir nicht paßt. Und wenn es mal einer gemerkt hat, dann hat er gemeint, ich sei ja kein Türke, man habe nichts gegen Ausländer generell, aber die Türken, das sei natürlich schon eine besondere Art Nomadenvolk und deren Geschichte sei – man denke nur an das osmanische Reich – blutrünstig etc.

Klar, die deutsche Geschichte ist demgegenüber ausschließlich vom Pazifismus geprägt…

Jedenfalls sind Gewalttaten gegen Migranten zwar verachtenswert, aber erst der kleine, alltägliche Faschismus ist es, unter dem Millionen von Migranten in Deutschland (und ja, selbstverständlich auch in anderen Ländern) tagtäglich leiden. Diese Art des Faschismus ist so wirksam, gerade weil sie in sanften Worten daherkommt: man verteidigt ja nur die Demokratie gegen einen patriarchalischen Glauben, es geht ja um nicht von der Hand zu weisende Integrationsprobleme in einer postmodernen globalisierten Gesellschaft mit enormen Sozialausgaben und da ist ja auch noch der Terror usw.

Das alles interessiert die vielen Millionen braven, arbeitenden Migranten nicht. Sie bekommen die gleichen Vorurteile ab wie die wenigen kriminellen, und das allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Das beweist das Video.

Blogs, die sich aus anderer Perspektive ebenfalls mit dem Video beschäftigen:
daMax
politbloggger
Kinus Hoppe

Belgien will die Burka verbieten

In Belgien soll darüber abgestimmt werden, ob die ganze oder teilweise Verbergung des Gesichtes bis zur Nichtidentifizierbarkeit per Gesetz verboten werden soll. Auffällig dabei ist die breite Zustimmung im Vorfeld vom ganzen politischen Spektrum. Die Mitte und der rechte Flügel – naja, die Gründe dürften bekannt sein: Neo-Nationalismus – sind sowieso dagegen, aber die Linke sieht sich dazu aufgerufen, den Mangel an Feminismus durch die Unterstützung dieses Gesetzes auszugleichen. So, als würden jetzt alle bisher verschleierten Frauen durch dieses Gesetz „befreit“ werden … noch naiver gehts nicht mehr.

Bereits aus pragmatischen Gründen ist der Gesetzesentwurf höchst zweifelhaft. Es gibt im Leben eines Westeuropäers zig Situationen, in denen er die Voraussetzungen für den Tatbestand der ganzen oder teilweisen Verbergung des Gesichts erfüllt: Fasching, Winterkleidung, Motorradhelm usw.

Gerade das letzte Beispiel ist alles andere als aus der Luft gegriffen: es sollen sogar spätere Außenminister Deutschlands in diesem Outfit auf halbkrimineller Tour fotografiert worden sein.

Ebenfalls aus pragmatischer Sicht ist es immer wieder enttäuschend, wie sehr sich gerade das linke Spektum aus einer gutgemeinten pro-feministischen Position für diese in Mode gekommene Status-Grenzlinien-Ziehung mißbrauchen läßt. Ich bin zwar für basisdemokratisch orientierte Politik, aber ein wenig strategisches Denken muß schon sein – jeder, der sich wirksam von nationalistischen Kräften distanzieren will, sollte sich aus der Kopftuch- bzw. Burka-Diskussion heraushalten.

Soviel zur Frage des Pragmatismus.

Aus humanistischer Sicht ist dieser Vorgang erst Recht beschämend. Da wird die Verschleierung gleichgesetzt mit Integrations-Unwillen und womöglich Terrorismus-Nähe.

Wie soll denn das funktionieren?

Wer Terror betreiben will, wird sicher nicht in Nikab mitten über die Einkaufsmeile Brüssel spazieren, um dann einen Akt des Terrorismus zu begehen. Wie blöde kann der Westen sein?

Und wer sich nicht integrieren wollte (ich bezweifle, daß es so viele sind die das aktiv tun, siehe SINUS-Studie in der APuZ 5/2009: S. 8), würde es durch die Kriminalisierung einer religiösen Kleiderverordnung auch weiter nicht wollen.

Der Westen zeigt sich angesichts des Terrorismus hilf- und kopflos. Daraus folgt Aktionismus dieser Art.

Der Artikel auf tagesschau.de ist übrigens sehr differenziert geschrieben, was nicht mehr allzu häufig vorkommt in diesen Tagen.

Auf die Aktie Mitleid für afghanische Frauen setzen

Ein bißchen was zur Frage, was die Diskussion um Kopftuch und Burka so alles für Hintergründe haben könnte auf

tagesschau.de

Natürlich gibt es Philosophen (Michael Walzer), die von „gerechten Kriegen“ unter ganz bestimmten Kriterien sprechen. Allerdings ist es sicher nicht in ihrem Sinne, wenn die öffentliche Meinung manipuliert wird.

Die Frage, ob die Unterdrückung (nicht nur) der Frauen durch die Taliban in Afghanistan ein Grund ist, dort zu intervenieren, ist sicher erlaubt. Allerdings verlieren Befürworter der Intervention ihre Glaubwürdigkeit, wenn – wie hier – rauskommt, daß gezielt die öffentliche Meinung beeinflußt werden soll. Wir sitzen hier im Trockenen und bilden uns ein, mit dem Krieg in Afghanistan etwas für den Feminismus zu tun, während hierzulande Frauen nach wie vor weniger Geld mit derselben Arbeit verdienen. Nicht, daß mit die Taliban geheuer wären. Aber wieso muß ein „ja“ zu diesem Krieg mit Dämonisierung eingeholt werden?

Der alltägliche Journalismus sollte doch eigentlich ausreichen, oder?

Egal, wie man zu „gerechten Kriegen“ steht, ihr Hauptmerkmal ist doch das der Kontrolle. Jede ungerechtfertigte Aktion muß vermieden werden (bis hin zum Krieg selbst). Oder: jede Aktion muß gerechtfertigt sein. Das allerdings heißt aber auch, daß Argumente offen / öffentlich diskutiert werden müssen. Von Offenheit kann in diesem Fall aber nicht die Rede sein. Da wird irgendwie irgendwas heimlich beschlossen und durchgeführt, um die – offesichtlich für die Wahrheit zu dumme – Öffentlichkeit dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie andernfalls wohl nicht täte.

Das ist weder gerecht, noch rechtens. Das ist Käse. Kein Cent wird in die Aktie Afghanistan investiert, und erst recht nicht, weil die CIA den Feminismus als hohen Kurs erkannt hat. Wie sagte William von Baskerville in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“:

„Mißtraue den Erneuerungen der menschlichen Gattung, wenn die Kurie und die Fürstenhöfe davon zu reden beginnen!“

PS: daMax gab mir diesen lesenswerten Link:
Mely Kiyak zum Krieg in Afghanistan

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