Merz: „Brenne darauf, es allen zu zeigen!“

AfD und wie sie alle heißen

Mei, 1968 hatte die NPD 9,8 % in BaWü und 2004 9,2 % in Sachsen.
Nee, schön wars nicht, aber das haben wir auch überlebt.
1981 wurde in den USA ein Cowboyfilm-Darsteller zum Präsidenten gewählt, der seinem filmischen Schaffen alle Ehre gemacht hat.
Diese groteske Gratwanderung der Geschichte zwischen den Abgründen „lustig und entsetzlich“ haben wir überstanden, wenn auch mit Blessuren.
1991 dann die Übergriffe auf Migranten jeglicher Coleur und jeden Alters (in Solingen war das jüngste Mordopfer 5 Jahre alt). Das tut bis heute weh, aber gewonnen haben die rechtsradikalen Mörder trotz aller Gewalt nicht.
Und nun die AfD im Siegestaumel, scheingetragen von den Fallschirmen Dreistigkeit und Blödheit.
14,5 % in Baden-Württemberg, da werden Sektkorken knallen heute nacht.
Puff! Puff! – wirds machen, ziemlich laut und untermalt von einigem Gejohle, welches zum Schluss dann in der einen oder anderen (oder vielleicht sogar dritten) Strophe des Deutschlandliedes aufgehen wird, sofern man das Gelalle dann noch von radegebrochenen Stammtischparolen unterscheiden wird können.
Und dann, nachdem das alles verpufft ist?
– was wird dann sein?
Eine AfD, die sich bar jeglicher Ahnung und absichtlich blind und taub stellend gegen alles stemmen wird, was entfernt nach humanistischer Politik riecht. Eine Partei, die immer noch nicht kapiert hat, dass Politik etwas mit dem globalen Dorf und den Zusammenhängen zwischen Staaten und ihren Menschen zu tun hat und niemand auf dieser Welt alleine ist. Letztlich ein Verein bereitwillig Ahnungsloser, deren ausphrasierte Formeln sich immer noch auf die eine, die alte, die mir so verhasste Milchmädchenrechnung kürzen lässt: „Deutsche zuerst, dann wird alles gut“.
4 Jahre wird es durchzustehen gelten, und am Ende dieser 4 Jahre, nach viel unnötig entstandenem Dreck, werfen wir diesen Dreck zu dem restlichen Dreck auf dem Dreckhaufen der Geschichte, in bester Gesellschaft mit der NPD, Ronald Reagan und den Mördern von Solingen.
Mir tuts nur leid, dass es bis dahin viele Flüchtlinge schwerer haben werden, irgendwie zu überleben.
Und das muss man als Demokrat leider aushalten: Du schleifst ein paar Ewig-Gestrige mit, die einen Scheiss darauf geben, was Demokratie bedeutet, obwohl sie auf ihrem Rücken erst zu politischer Macht gelangen. Am liebsten würde ich ihnen sagen: „dann macht doch mal kaputt, was die Demokratie ausmacht, stutzt Freiheit, Bürgerrechte, internationale Solidarität“. Allein der Gedanke, was dann geschähe, allein die Erinnerung an jenes andere Mal, als man gemeint hat, den Falschen mit „ein bisschen Macht“ ruhigstellen zu können, macht mir Angst und deshalb gebe ich nicht auf, diese Brut zu verachten und zu bekämpfen, denn:
wir haben nur eine Demokratie, und die gilt es zu schützen. Das mit der AfD wird vorübergehen, da habe ich keine Zweifel. 4 Jahre und dann ist Schluss. Aber bis dahin werden sie einiges kaputtmachen, wofür echte Demokraten einst gekämpft haben und gestorben sind.

Zahlen zum Angebot von Kita-Plätzen werden beschönigend kommentiert

[Update 25.07.2014]:

heute.de zitiert eine Studie, nach der unter Idealbedingungen, also bei einem Betreuungsverhälnis von 1 : 3 (ErzieherIn : Kinder) 120.000 ErzieherInnen fehlen. Frau von der Leyen stellte sich vor Jahren hin und phantasierte die Zahl von 780.000 Kita-Plätzen vor der Presse – eine Zahl, die bis heute noch nicht erreicht ist (vgl. Beitrag unten); ein ganzes Jahr nach der selbstgesetzten Frist. Schlimmer noch: selbst, wenn man all diese Plätze hätte, sie brächten niemandem was, denn Kinder müssen ja noch betreut werden. Wenn möglich, von pädagogisch geschultem Personal. Höre ich jemanden verwundert „Von wem denn sonst?“ fragen? Tja, ich selbst sah in einer Kindergartengruppe 2 Physiotherapeutinnen arbeiten. Sie mögen ja ganz nett gewesen sein, aber Pädagoginnen waren es eben nicht, und das hat man auch im Umgang mit den Kindern gemerkt. Schlechter Träger? Nein, nicht wirklich. Die Träger haben oft gar keine andere Wahl. Aus Sicht der Eltern mag es so aussehen, als gäbe es zu wenig Kita-Plätze. Aus Sicht von Erzieherinnen gibt es ein Überangebot an Stellen. Dementsprechend schwierig ist es für Träger, Fachpersonal zu bekommen und dann wird eben eingestellt, was irgendwie was mit Menschen zu tun hat, und wenns ein Physiotherapeut ist.

[Update Ende]

 

Immerhin: heute.de lässt sich von den Euphemismen der Politik nicht beeinflussen. Schon die Überschrift dieses Artikels bringt es auf den Punkt: „Kita-Plätze reichen nicht“ bzw. „Nachholbedarf bei Kita-Ausbau“. Das war letztes Jahr noch anders. Rückblick: brav wurde in der Presse wiederholt, was das Bundesministerium von sich gab. Wörtlich sagte Familienministerin Schröder:

1. „Deutschland hat bei dem Thema Kinderbetreuung lange anderen Ländern hinterher gehinkt, aber nun in einem echten Kraftakt ganz enorm zugelegt“ und

2. „Denn das Thema endet nicht mit dem Bedarf, sondern auch die Qualität muss weiter gesteigert werden“.

Frage: liest sich das wie „wir können die Nachfrage an Kita-Plätzen nicht befriedigen“? Antwort: nein. Hier wurde verschleiert, dass weiter Kita-Plätze fehlen, und nicht wenige. Folgende aktuelle Grafik verdeutlicht dies:

 

kinderbetreuungEin Jahr Verzug und immer noch 118000 Plätze zu wenig. Von welchem „Kraftakt“ sprach Familienministerium Schröder seinerzeit? (Quelle: heute.de 17.07.2014)

 „
 „

Zu diesen Zahlen gibt es einiges zu sagen. Ich fasse meinen Artikel letzten Jahres kurz zusammen: in die Zahl der Plätze wurden auch solche gezählt, für die lediglich eine Betriebsgenehmigung bestanden hat, die in Wirklichkeit aber noch gar nicht existent waren. Weiter wurden Qualitätsstandards gesenkt – Stichwort Kita Marke „Baucontainer“. Zudem wurden Einbußen bei der Qualität des Personals gemacht. Man nahm einfach jeden, und selbst dann gab es noch Erziehermangel. Also versuchte man, Erzieher aus ehemaligen Schlecker-Beschäftigten und Langzeitarbeitslosen zu rekrutieren. Ausserdem wurden Plätze bei Tagesmüttern als Kita-Plätze gezählt. Um Tagesmutter zu werden, bedarf es keinerlei pädagogischer Ausbildung. Es mag gute, es mag schlechte Tagesmütter geben; ein pädagogischer Standard ist bei ihnen nicht zu erwarten. Zuletzt wurden Mittel für freie Horte gestrichen, um die Träger so zu zwingen, diese dicht zu machen. Ergebnis: frei werdende Raum- und Personalressourcen für…? Richtig, für die Schaffung von Vorschul-Kita-Plätzen. Dabei wurde den Trägern keine Wahl gelassen, wie dieses Infoblatt des Gemeinderats der Stadt Stuttgart im Dezember beweist:

umbau

Aber Frau Schröder stellte sich hin und verkaufte den Ausbau der Kitas als Erfolgsstory. Ganz klar, warum. Der Rechtsanspruch war ab August 2013 wirksam, die Bundestagswahl war im 6 Wochen später angesetzt, im September. Man hatte versagt und das hätte Stimmen kosten können. Also wurde alles getan, um diese Zahl irgendwie in die Nähe des selbst gesetzten Ziels zu strecken, und noch nicht einmal das gelang.

Ich bin enttäuscht. Nicht vom Ministerium, denn anderes hatte ich nicht mehr erwartet. Ich bin enttäuscht von der Wählerschaft. Und damit meine ich nicht deren Kreuzchen an der vermeintlich falschen Stelle. Jeder soll wählen, was er will und die wollten eben überwiegend die CDU.

Nein, ich hätte mir gewünscht, dass mehr Aufhebens gemacht wird um diese Zahl, die so nackt überhaupt nicht stehengelassen werden darf. Zu viel Beigeschmack trübt den Eindruck, den die nackte Zahl vermittelt, und seien wir ehrlich: selbst die nackte Zahl ist eine Schande, denn 662 000 statt 780 000 Plätze, die man im Vorjahr mal erreicht haben wollte – da wurde schlicht und ergreifen nicht geliefert. Stattdessen war die Empörung gering im Vergleich zu der Forderung nach mehr Kita-Plätzen. So schlimm scheint der Mangel an Plätzen offensichtlich ja nicht zu sein, wenn diese Zahlen so gleichgültig dahingenommen werden.

Wir sind wieder wer…

merkel-gauck

 

Also klar, Frau Merkel war im Stadion. Herr Gauck auch.

Aber näher kommen sie einander nicht, die Politik und der Fußball, auch, wenn das bereits in der Vergangenheit so fleißig hergeredet werden wollte. Da konnte die Gleichzeitigkeit der Ereignisse noch so … gleichzeitig sein, letztlich hatte die „Auferstehung“ des deutschen Volkes 1954 nichts mit dem Titel seinerzeit zu tun. Und auch der Titel von Rom und die deutsche Einheit 1990 hatten nicht mehr als das Fallen bzw. Vorhandensein von Mauern gemeinsam.

Dennoch funktioniert sie, die Fusion zwischen berechtigter Begeisterung über guten Fußball, nationaler Mythologisierung und politischer Zweckentfremdung. Und ich habe die Befürchtung, dass wir davon in nächster Zeit mehr als genug bekommen werden.

 

wunder-bern-031954: „Fußballwunder“ und „Wirtschaftswunder“, „Wir sind wieder wer“ – Fußball ist bisweilen mehr als nur Fußball.

 

kohl_flaggen_dpaEmpfang der deutschen Mannschaft am Frankfurter Römer 1990? Ach nee, der Typ im Vordergrund ist zu dick: „Deutschland einig Fußball-Land“ und Helmut Kohl auf dem Höhepunkt.

Heute schreibt „Le Parisien„: „Deutschland ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in Sachen Fußball eine Supermacht.“

Aha. Dann sind wir ja nur noch einen Schritt vom Stein der Weisen entfernt. Alles, was Deutschland anfasst, wird zu Gold. Weil, wer nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Fußball Erfolge vorzuweisen hat, muß ein Geheimrezept haben, eine Art Weltformel, die eigentlich auf alles anwendbar ist, sei es Politik oder Fußball und vielleicht auch gegen AIDS.

Es weiß zwar keiner, welche Art Formel das sein könnte, aber trotzdem sucht man nach ihr.

Täte man es nicht, müßte man schliesslich die Dinge getrennt, versachlicht betrachten. So zum Beispiel in der Politik: Deutschland steht wirtschaftlich gut da, weil die Agenda 2010 radikal war. Nicht wenige halten sie schlicht für unmenschlich. Fehlerfreiheit wird ihr jedenfalls von niemandem attestiert. Oder eben im Fußball: diese Mannschaft hat zwar Brasilien 1:7 geschlagen, gegen Ghana und Algerien jedoch durchaus so ihre Probleme gehabt.

Aber wer will sowas schon hören im Moment des Triumphes?

Ich verrate jetzt mal ein Geheimnis: mich interessieren beide genannten Spiele auch nicht mehr sonderlich. Das war ein (durchaus gekonnter) Arbeitssieg bzw. Unentschieden und ich kenne keinen Weltmeister, der je ohne solche Spiele ausgekommen wäre. Aber heute (15.07.2014) lese ich bereits Folgendes auf Facebook:

fbgaucho

Vorangegangen war der sog. „Gaucho-Marsch„. Von dem kann man halten, was man will, mich erschreckt vor allem aber die völlige Ergebenheit mancher Fans, die nicht in der Lage sind, auch nur einen Funken Kritik zuzulassen. Es ist also nicht möglich, zu sagen: gut gespielt, verdient gewonnen und ein wenig danebengegriffen im Taumel des Erfolgs. Nee, nicht mal das. Nichts, gar nichts darf auszusetzen sein an diesen Helden, denn sie werden nun kanonisiert und haben genauso wie Heilige grenzenlose Verehrung verdient.

Nun gut, im Fußball darf man noch über den einen oder anderen Stolperstein hinwegsehen, in der Politik nicht. Da kann nicht allein die Bilanz ausschlaggebend sein, da müssen auch die sog. „Störfeuer“ (um mal Weltmeister Lahm zu zitieren) begutachtet werden.

Herr Mertesacker durfte nach dem Algerien-Spiel auch mal dichtmachen und so tun, als sei er als Fan und nicht als gut bezahlter Leistungsträger nach Schwächen gefragt worden. Die Politik darf das aber nicht.

Und deswegen nervt mich dieses dümmliche Parallelen-Ziehen zwischen Erfolg A und Erfolg B. Beides steht für sich alleine und bereits für sich alleine besehen wird oft genug nach der Parole verfahren: „Winners are not judged“.

Wenn man aber beides miteinander vermischt, dann entsteht ein gefährlicher Mix, aufbauend auf unklaren Annahmen und oberflächlichen Halbwahrheiten. Und daraus entsteht dann irgendwann ein Mythos: die unbesiegbaren Deutschen, die in jedem Fall erfolgreiche Bundesregierung, Geheimwaffe Agenda 2010 blablabla. Das führt dann selbst im Ausland zu so Sprüchen, wie sie der Spiegel aus der englischen Presse zitiert hat: „Irgendwas machen die Deutschen richtig“.

Bravo, glänzende Analyse. Darauf lässt sich prima aufbauen. Fragt sich nur, was. Aber egal, Hauptsache man macht „irgendwas“ (was?) wie die Deutschen. Und das waren Stimmen aus dem Ausland, wohlbemerkt. Stimmen aus Paris und London, wo das Kopieren des deutschen Weges irgendwo gaaanz hinten in der Prioritätenliste steht. Aus Deutschland dürfte es demnächst noch eine Schippe deutscher Weg mehr sein.

Also: diese Mannschaft hat den Titel hochverdient gewonnen, ich habe mich sehr gefreut und alle Spiele genossen. Ja, auch die Spiele gegen Ghana und Algerien, denn eine gute Mannschaft kann das in schwierigen Spielen notwendige Mindestniveau abrufen und dazu waren die Deutschen immer in der Lage.

Aber: die gewichtige Rolle Deutschlands in Europa, manche sprechen von einer Führungsrolle, hat nichts mit dem deutschen Fußball zu tun. Auch nicht umgekehrt. Deutschland hat die WM nicht etwa aufgrund „deutscher Tugenden“ gewonnen. Auch nicht aufgrund einer deutschen Mentalität oder ähnlichem. Was soll denn das sein, eine „deutsche Tugend“? Kriegt man das als Deutscher in die Wiege gelegt? Fragen wir lieber nicht Mesut Özil, Sami Khedira oder den besonders im Finale überragend gut spielenden Jerome Boateng, was sie von der Vererbung charakterlicher Eigenschaften halten. Vermutlich so wenig wie ich. Deshalb mein Rat:

Genießt diesen völlig verdienten Titel und feiert die deutsche Mannschaft, aber wenn Ihr feiert, übertreibt es nicht mit dem Selbst-Feiern. Gewonnen und schön gespielt, das haben letztlich die 23 Leute des WM-Kaders vom DFB, nicht das deutsche Volk oder personifizierte „deutsche Tugenden“. Lasst die Finger von der Mythologisierung „deutscher Eigenschaften“. Glaubt nicht, dass das nun ein weiterer Schritt in Richtung Weltmacht aufgrund Vorbestimmung (um nicht zu sagen „Vorsehung“) ist. Das ist Firlefanz, der inetwa so seriös ist wie das Horoskop. Und wer das eben doch nicht lassen kann, muss dazu dann aber auch zu jener Publikation greifen, die alle drei von einander getrennten Bereiche Politik, Sport und Horoskop gerne mal auf einer Seite unterbringt, neben dem Oben-ohne-Foto der Swinger-interessierten vollbusigen Friseurin auf Seite 3: die BILD-Zeitung.

Dazu die Warnung nach dem Finale ´54 von, man höre und staune, der CDU/CSU (Quelle: bpb.de):

„So warnte der Deutschland-Uniondienst der CDU/CSU bereits am Montag nach dem Endspiel davor, „nach dem Fußballerfolg in Bern von einem „deutschen Fußballwunder“ zu sprechen“. Der große sportliche Erfolg dürfe nicht in nationale Phrasen gehüllt und das Geschehen in der Schweiz so kommentiert werden, als habe das deutsche Volk neun Jahre nach dem Zusammenbruch wieder zu „siegen“ verstanden.“

Recht hatte sie mal, die CDU.

 

UPDATE: die Gaucho-„Diskussion“ entwickelt sich weiter…

 

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Es ist einfach nicht zu vermeiden. Aus irgendeinem Grund findet sich dieser fb-Nutzer nun von der sog. „Nazi-Keule“ erschlagen. Obwohl die niemand herausgeholt hat (abgesehen davon, dass es sie gar nicht gibt…). Manche Leute wollen den Fußball einfach politisieren. Weil sie die Deutschtümelei brauchen – wobei dieses Foto da oben mehr ist als nur das.

Ich hingegen schaue mir jetzt das fantastische Götze-Tor noch mal an. Ganz ohne Hintergedanken.

[Update 2]:

Pressestimmen aus dem In- und Ausland zum „Gaucho-Dance“.

Die Todesstrafe ist abgeschafft. Das GroKo-Spiel.

Propaganda, das gibt es nicht bei uns. Das ist die abfällige Bezeichnung für Nachrichten, die staatstragende Funktionen übernehmen. Das heisst: solche Nachrichten sind zumeist beschönigend und nicht zutreffend. Sie sollen verhindern, dass das Volk auf die Idee kommt, etwas gegen das System zu tun, sie sollen manipulieren, verschleiern, an der Nase herumführen.

Propaganda, das gab es bei den Nazis, in der DDR, im südafrikanischen Apardheids-System. Zu anderen Zeiten, an anderen Orten, aber nicht hier, nicht jetzt, nicht in der Bundesrepublik Deutschland.

Oder doch?

Heute lese ich die Schlagzeile bei heute.de und ärgere mich. Dort werden, wie jeden Freitag, die Ergebnisse des ZDF-Politbarometers bekanntgegeben, Thema mal wieder: die Grosse Koalition. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, die Schlagzeile zu verändern und bitte den Leser darum, beide Screenshots zu betrachten und dann zu entscheiden, welcher der beiden Screens die Unwahrheit sagt.

Screen 1:

heutepropagandafinal01

Screen 2:

heutepropagandaoriginal

Auflösung

man merkt es schnell an meinen bescheidenen Bildbearbeitungs-Fähigkeiten: der erste Screenshot ist mein Fake. Jedoch: nichts daran ist inhaltlich unwahr. Ich habe sogar die Formulierungen des Politbarometers benutzt. Keiner der beiden Screenshots sagt die Unwahrheit.

Und doch wirken beide Nachrichten völlig anders auf uns.

Grund: sie sollen es auch. Im Original soll, wie seit Wochen, eine Normativität hergestellt werden, die bewirkt, dass die SPD-Basis die GroKo absegnet. Das war bereits bei dieser, dieser und dieser Meldung so. Und das ist heute nicht anders. Da man bei uns aber nicht so leicht lügen kann wie in Unrechtsstaaten, stellt man die Wahrheit eben selektiv dar. Ja, es stimmt: 82 % der Befragten erwarten, dass die GroKo kommt. Also landet das in der Schlagzeile. Dass aber 51 % eine GroKo nicht  „gut“ fänden, das erfährt man dann erst irgendwo mitten im Artikel, den sowieso nur ein Bruchteil der heute.de-Konsumenten liest.

Also: man kann diese BRD nicht mit Nazi-Deutschland, der DDR oder dem Südafrika der Buren vergleichen, beileibe nicht. Aber die Normativität der Presse ist genauso vorhanden wie die soziale Kontrolle der Bürger durch das System, nur dass es sanftere Methoden hat als jene der o.g. Unrechtsstaaten. Immerhin, die Todesstrafe ist abgeschafft.

NSA-Affäre: Win / Win / Win / Win für das System

Win für Merkel:

Herr Pofalla verbot uns das Maul, als wir Fragen bzgl. unserer Ausspähung durch die NSA stellten. Nun, da seine Chefin Merkel selbst ausgespäht wird, folgt nicht etwa eine Entschuldigung, das Einräumen von Fehlern, nein: sie empört sich, reisst genau jenes Maul auf, das uns durch ihren Knecht Pofalla verboten worden ist. Ausgespäht zu werden, das schafft Nähe, das stiftet Identifikation. „Ich bin eine von Euch“, höre ich Angie sagen.

Win für Google:

der Konzern ist „aufgebracht darüber, wie weit die Regierung scheinbar gegangen ist, um Daten aus unseren privaten Glasfaser-Netzwerken abzugreifen“ – dabei sind SIE es, die Daten sammeln und per Zwangs-Verbindung von Googlemail-/Youtube-/Google+-Accounts eine weitgehende Anonymität im Netz verhindern.

Win für die Presse:

sie schreibt über alles und besonders gerne über den neuen Skandal. Dass die Presse als verlängerter Arm der Politik ständig über die drohende Gefahr des Terrorismus berichtet (wie oft wurden schon „große Anschläge“ aufgrund von „geheimen Informationen aus sicherer Quelle“ angeblich „verhindert“?) und damit erst eine breite Akzeptanz von Geheimdiensten schafft, kümmert keinen mehr, denn die NSA, die uns ausspäht, scheint ja eine andere NSA zu sein als jene, die von der Presse eifrig promoted wird.

Hauptsache, der Mensch konsumiert die journalistische Diarrhoe.

Win für die Opposition:

Sie wird sich jetzt ganz arg darüber aufregen, dass ja wohl niemand mehr in diesem Land vor Spionage sicher ist. Dabei gibt es nicht eine Partei, die nicht in irgendeiner Form staatliche Schnüffelei betrieben hat. Sei es als Lauschangriff, sei es zu anderen Zeiten in anderen politischen Systemen.

Win für Obama:

er kann sich jetzt als starker Mann profilieren, der aufräumt. Dazu muss er nur behaupten, nichts von alldem gewusst zu haben und das dumme Volk wird es ihm – zumindest überwiegend – glauben.

Win für die NSA:

solange so etwas wie die NSA nicht abgeschafft wird, gibt es keine wirkliche „Strafe“ für sie. Schlimmstenfalls werden ein paar Köpfe rollen, aber durch Neustrukturierung und Qualitätssicherung wird sie strahlender über uns wachen als je zuvor.

Hach, dabei wäre es so einfach. Einfach die Regierung abwählen. Aber bei so enorm viiielen Arbeitsplätzen (bei denen die prekären Arbeitsverhältnisse mitgezählt werden…) MUSS man sie doch lieben, unsere Winner. Wer sind eigentlich die Loser? Tja, wer wohl?

Ich will zwei Dinge. Erstens: ich will meine Häme, meine Abscheu, meine Schadenfreude über jene ausschütten, die dieser Regierung dazu verholfen haben, im Amt zu bleiben. Ihr regt Euch über die NSA-Affäre auf? HALTET. EINFACH. DEN. RAND.

Und ich will Wahrheit. Einfach nur etwas Wahrheit will ich.

Hatte die CDU vielleicht doch recht?

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The winner takes it all – Fehlinterpretation der 100 wichtigsten Zahlen der Welt

heute.de schreibt: die Mehrheit der Deutschen will eine grosse Koalition.  Gott, muss ich ein Nischenmensch sein, denn ich kenne nur Menschen, die das nicht wollen. Zeichnet mich das aus?

Hmm, mal genauer hinschauen:

oha, die Mehrheit, das sind für heute.de 58 %. Klar, rein rechnerisch ist das eindeutig die Mehrheit, aber 58 % zufriedene Gewinner dürften ja eigentlich 42 % unzufriedene Verlieren sein.  Die grosse Koalition ist also 33,6 Mio Deutschen ein Dorn im Auge, und die Meinungsmacher in den Medien streuen noch etwas Salz darauf.

Ist das Propaganda oder bin ich einfach nur ein schlechter Verlierer?

Also wenn ich eine Umfrage bei zehn Hortkindern zu der Frage mache, wohin sie beim Ausflug denn gerne hin wollen und 6 von 10 wollen Fussball spielen, dann kann das sein, dass ich das durchaus nicht mache.

Wie? Warum lasse ich die dann überhaupt abstimmen? Ist das Schein-Partizipation?

Nee, es ist recht einfach. Wenn 4 Mädchen in der Gruppe sind, die einfach keinen Bock auf Fussball haben, dann müssen wir ein anderes Ausflugsziel finden. Die Mehrheit bekommt die Macht über das ganze Volk, nicht nur über die 58 % der Mehrheit, und mit der Minderheit muss sie verantwortungsvoll umspringen.

Also schaue ich mal genauer auf den Artikel und da lese ich: 25 % der Befragten fänden eine grosse Koalition schlecht, und 14 % wäre das egal.

Diese 14 % werden dann irgendwie zu den 58 % dazugerechnet, und daraus macht heute.de dann Folgendes:

heute01Gelb hervorgehoben: 58 % befürworten und erwarten die grosse Koalition und 14 % ist eine grosse Koalition egal und sie erwarten eine solche – ja und? Ich erwarte ziemlich schlechtes Wetter im November – aber finde ich das gut?

Warum machen die so etwas?

Ist das Propaganda oder leide ich an Fletchers Visionen?

Nun, es gibt ja etliche wissenschaftliche Publikationen zur Normativität von Nachrichten und speziell da von repräsentativen Umfragen.

Doch die muss man nicht bemühen; der Beweis kommt auf der selben Seite selbst:

heute03

1 Woche nach der Bundestagswahl – die ja nicht repräsentativ, sondern tatsächlich durchgeführt worden ist (munkelt man) – erhält die CDU nun 43 % der Stimmen. Wo kommen denn innerhalb einer Woche 1,5 % Wähler her? Da hat der Jubelgesang der CDU wohl einige Unentschlossene dazu gebracht, sich auf die Seite des Siegers zu schlagen. Süffisantes aus dem Artikel von CDU-Fraktionschef Kauder: „Der Generalsekretär hat gesagt, dass Wahlsieger das Lied singen dürfen.“. Und pinkeln gehen durften die auch.

Gleiches gilt für die FDP: die hat hier nur 3 %. Haben die innerhalb einer Woche 2 % verloren? Soo viele FDPler könnens dann auch nicht sein, die zur AfD wechseln wollen / müssen…

Nun denn, Zahlen werden gefaked – siehe Grubes Versprechen vor der Volksabstimmung, S21 werde nicht teurer als 4,5 Mrd €.

Zahlen werden geschönt – von den versprochenen 780 000 Kita-Plätzen sind (höchstens) 680 000 geschaffen worden und dabei sind solche mit eingerechnet, für die lediglich eine Betriebsgenehmigung erteilt worden ist, die aber noch nicht in Betrieb sind (z.T., weil sie erst noch gebaut werden müssen).

In jedem Fall sind Zahlen aber entscheidend – vor allem in einer Gesellschaft, die sich zur Entscheidungsfindung der Massenmedien bedient, weil diese vor allem eines sind: schnell.

Und genau das ist das Problem: schnell ist meistens gleichbedeutend mit oberflächlich.

 

Also bleibt mir zum Schluss nur noch eine Aussage:

 

Zahlen sind vor allem – nur Zahlen.

Andere Geschichte eines Nichtwählers

Der Mann liegt halb auf dem Gehweg, halb auf der Straße. Mein Blick bleibt sofort an ihm hängen. Ist er ohnmächtig? Nein… er regt sich, kriecht auf ein Fahrrad am Gehwegrand zu.

Ah, er ist also besoffen. Und zwar so dermassen voll, dass ihm selbst das Kriechen schwerfällt. Immer wieder erschlafft er völlig.

Der braucht offensichtlich Hilfe.

Nachdem ich das letzte Mal so etwas gemacht hatte, weiss ich, dass man zuerst die Polizei rufen muss. In Deutschland geht „öffentliche Sicherheit“ offensichtlich vor Gesundheit. Da erspare ich mir jetzt mal einen Kommentar.

Ich gebe also meinen Namen an und schildere das Gesehene. Eine Streife will nach dem Rechten schauen.

Inzwischen hat sich der arme Kerl irgendwie auf ein abgesperrtes Baugelände geschleppt und liegt jetzt auf der Bank.

Sie zu mir: „Komm, wir müssen wählen.“, dann sieht sie ihn. „Der wählt heute bestimmt nicht.“

Ich: „Nee. Der hat keine Wahl.“

 

Erst denken, liebe Spiegel-Leser (Spiegel-Titel vor kurzem: „Nichtwähler: träge, frustriert, arrogant“), dann verurteilen.

borna: geld kann man nicht s-sehn

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