tagesschau.de 05.10.2011 – das Review

Ach ja, die gute alte Tagesschau. War ihr Online-Ableger früher noch lediglich eine TV-begleitende Interne-Präsenz, bemüht man sich seit einiger Zeit darum, ein eigenständiges Profil zu erarbeiten. Diese Reihe soll in unregelmäßigen Abständen der Frage nachgehen, welches Profil genau das sein soll. Heute beginne ich mit dem ersten Review.

Der Aufhänger:

Griechen legen ihr land lahm. Seltsam. Die scheinen mir ganz schön agil zu sein. Die sollen also daran schuld sein, daß Griechendland pleite ist? Oder kann es sein, daß man den sonst so platten Vorwurf, die Politiker seien daran schuld, gelten lassen darf? Tatsache ist jedenfalls: wer immer die Pleite verursacht hat, den Sparkurs ordnen Politiker an, sparen muß das Volk.

Und wieder wird die Bonität eines Landes abgestuft:

Wie ist das eigentlich…? Wenn unter den Starken einer schwach ist, ist das ein Gefälle, klar. Aber so, wie gerade alle abgestuft werden, frage ich mich, ob es (außer China) überhaupt noch Staaten gibt, die als zahlungsfähig eingestuft werden… Wie wäre es, wenn wir einfach alle bankrott gehen und den gleichen schlechten Rang bekommen – pares inter pares sozusagen? In diesem Fall könnte ich die konstruktivistische Wirkung von Ratings durchaus akzeptieren…
Aber mal was anderes: alle werden abgestuft, und Italien nun auch. Das wäre ja eigentlich nicht so wichtig, wenn es da nicht den Berlusconi gäbe, auf dem Tilmann Kleinjung mal wieder rumhacken könnte. Nicht, daß ich Berlusconi-Fan wäre. Aber liebe Tagesschau, wir haben es ja inzwischen kapiert: er ist umstritten, Ihr mögt ihn nicht. Das ist zwar richtig, aber inzwischen keiner Meldung mehr wert. Ich stelle mir Eure Redaktionssitzungen inetwa so vor: „…ach so, man darf mal wieder auf Berlusconi hauen. Kommt immer gut. Wer möchte? Nein, Du durftest schon letztes mal. Heute ist Tilmann dran. Dafür darfst Du die nächste Papst-Dresche machen.“
Macht doch mal was Neues. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ – das ist nicht von mir, sondern von einem Tagesthemen-Moderator aus einer Zeit, als die ARD noch Nachrichten und keine Hetze gemacht hat. Und nochmals: nein, ich habe für Berlusconi nichts übrig, aber die Tagesschau könnte ihren Mut ruhig mal hier in Deutschland zeigen, wo es ein paar Leute gibt, die mindestens genauso fragwürdig sind, die aber keiner öffentlich angreift, weil deren Stuhl nicht wackelt und man über die nicht hinter vorgehaltener Hand reden darf. Mutig ist das jedenfalls nicht, was die Tagesschau da macht. Jeder Depp hier weiß, das Berlusconi ein Depp ist.

FDP, China, Rußland, Waffenlieferungen:

Es folgen ein überflüssiger Bericht über Interna aus der FDP-Basis (das ist die Partei, die man nur kennt, wenn sie gewählt wird – inhaltlich haben die nichts außer Liberalismus zu bieten) und Hintergründe zum Veto der Chinesen und Russen gegen eine UN-Resolution, die Sanktionen gegen Syrien vorsieht. Dabei wird süffisant darauf hingewiesen, daß sowohl China als auch Russland Waffen- und Ölhandel mit Syrien betreiben. Wie schön, daß Deutschland ja niemals mit „Schurkenstaaten“ Waffenhandel betreiben würde…


Käpt´n: iPhone 5 – Nachricht – keine iPhone 5 – Nachrichten zu sehen!

Eine Nothandlung bei Nachrichtenmangel: keine Nachrichten als Nachrichten verkaufen. Heute: es gibt kein iPhone 5, jedenfalls im Moment noch nicht. Zwar war der Hype darum recht groß – so landeten gestern gleich zwei Blogs, die minutiös von der Produktvorstellung berichteten, bloggten und twitterten bei den angesagten 6, aber das sind nunmal Apple-Fans und Konsumenten, die selbst entscheiden dürfen, ob sie einen Hype mitmachen (oder nicht) und dann auch über ihre Enttäuschung schreiben dürfen (oder nicht), und die Leser bei WordPress dürfen ebenso selbst entscheiden, ob sie das alles verfolgen (oder nicht).
Aber darf das ein öffentlich-rechtliches Medium? Natürlich ist die Vorstellung eines lange erstehnten Produktes eine Wirtschaftsnachricht und somit von Belang für die Öffentlichkeit. Aber ist die Nicht-Vorstellung desselben Produktes, also die Enttarnung eines Hypes als heiße Luft von Belang für die Öffentlichkeit? Heizt Jan Tussings Artikel bei der Tagesschau den Hype nicht noch mehr an? Kann man nicht sagen: kein iPhone 5, keine Nachricht? Ich würde sagen, da kann sich die Öffentlichkeit schon selbst im Netz ausheulen und dort passen Konsumbefindlichkeite auch hin und wirken weniger peinlich als bei der Tagesschau.
Und wenn jetzt jemand denkt, da ginge es nicht um Konsum, dem sei auf den Artikel daneben hingewiesen: „Das Telefon: Der einfachste Zugang zur digitalen Welt„. Nein, das ist kein Werbeflyer vom Media-Markt, sondern will zunächst wie eine Art Analyse der technischen Möglichkeiten von Smartphones sein. In Wirklichkeit ist es aber bestenfalls eine Marktanalyse und auch der im Video befragte Armin Rott von der Hamburg Media School spricht eher über Marktmechanismen denn über Medien. Dieselben Gesetze gelten genauso für Autos oder Waschmittel: man muß den Käufern immer was Neues bieten, sonst gibt es keinen Kaufanreiz.
Nun gut, der Artikel von Svea Eckert ist an sich nicht schlecht, aber die Überschrift führt in die Irre und die Motivation wird angesichts der Positionierung (direkt neben der Nicht-Nachricht bzgl. des iPhone 5) doch recht deutlich:

Abschließend folgen noch nichtige Artikel zum Nobelpreis für Physik, Vaclav Havels 75. Geburtstag und einer Retroperspektive zu Gerhard Richters Werk.

Utoya – fast schon wieder vergessen…

Einzig herauszuheben ist der Artikel Claudia Buckmeiers (Buckenmaier? Zweierlei Angaben im Artikel) über die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Marcel Geffe, den Mann, der beim rechtsterroristischen Angriff von Utoya 20 Menschen das Leben gerettet hat. Die Meldung selbst ist – so löblich Geffes Einsatz auch ist – nicht mehr als guter Boulevard, aber die Anmerkung zur „Rückeroberung“ der Insel ist wichtig. Hier geht es um die Aussage, daß Terror mitnichten in der Lage ist, Interessen durchzusetzen. Weiter ist die Meldung angesichts der nach wie vor vorhandenen braunen Gefahr an sich wichtig.

Alles in allem eine höchstens mittelmäßige Tagesschau. Gut, die Ereignisse kann man nicht herzaubern, aber muß man es dann bei den Nachrichten tun? Meine Wertung: 53%, oder um es mit Moody´s zu sagen: Ba3 😉

tagesschau.de: China nur halb so aufgeklärt wie der Westen!!!

(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft – bild.de)

Ach du meines Güte…

die Online-Präsenz der Tagesschau berichtet exklusiv über das neueste aus China: chinesische Kinder glauben, sie würden auf der Straße aufgelesen. Das Thema Sex sei in China „traditionell mit Schmutz behaftet“, Sexualität ein Tabuthema. Die aufgeklärte 38-jährige Xin Yuan, mit der der Redakteur Markus Rimmele gesprochen hat, sei anders als die Mehrzahl ihrer Landsleute.

Oha. Knapp 1,4 Mrd Chinesen, das sind 1.339.000.000 Menschen und deren Mehrzahl soll laut tagesschau.de unaufgeklärt durch die Welt laufen…?
Wie sind es dann so viele geworden? Vielleicht liegen chinesische Babys ja tatsächlich auf der Straße, wer weiß? Denn so, wie sich der Artikel liest, sind die Chinesen zum Sex einfach zu blöd. Woher kommen die vielen Chinesen denn dann? Und: haben die überhaupt Spaß beim Sex, ohne unsere Aufklärung? Erst die Segnungen der westlichen Welt scheinen, so Rimmele, Ordnung in die chinesische Welt zu bringen: über 50 % des kindlichen Wissens über Sex in China stamme aus Medien. Da fühlt man sich doch gleich etwas besser, wenn man den dümmlich-prüden Chinesen die einfachste Sache der Welt erklären kann.

(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft II – web.de)

Aber es ist nicht nur blanker Chauvinismus, der den Artikel bestimmt. Der Redakteur eines öffentlich-rechtlichen Mediums muß natürlich einen Bezug zum politischen Topos bilden: schuld ist das hinterwäldlerische Bildungssystem Chinas. Also nicht nur blanker Chauvinismus, sondern blanker politischer Chauvinismus.

Klar, es ist natürlich schmerzhaft, wenn überall auf der Welt die westlichen Finanzmärkte den Bach runtergehen und ausgerechnet das verhaßte China da die Ausnahme bildet. Da berichtet man schon lieber über die Mängel des anderen. Schließlich sind wir ja wer. Noch.

(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft III – web.de)

Nein, ich mag kommunistische Parteien nicht, besonders, wenn sie Macht haben. Aber es ist doch sehr befremdlich, daß die Stärke Chinas eine seltsame Melange aus kapitalistischer Machterzeugung (durch Geld) und kommunistischer Machtausübung ist. Wächst endlich zusammen, was zusammen gehört?

Wenn man schon von „der Bildung“ „der Chinesen“ spricht, darf man nicht unerwähnt lassen, daß sie vor tausenden von Jahren schon Hochkulturen mit Schrift, Philosophie, Mathematik, Literatur usw. hatten, während unsere Vorfahren in die Büsche geschissen haben, bis auf Kreta so etwas wie eine Kultur entstanden ist. DAS ist die Bildung der Chinesen und deren Tradition, sofern man überhaupt pauschalisierende Aussagen über die beiden Kategorien „Chinesen“ und „Bildung der Chinesen“ machen darf.

(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft IV- bild.de)

Man kann natürlich alles aus dem Blickwinkel unseres Kapitalismus-Sexismus sehen: all das altbekannte Gelaber von Sex als Weg und Ausdruck der persönlichen Freiheit, der Selbstbestätigung und auch als normativer Indikator für den Wert eines Menschen – wer keinen Sex hat, gilt hierzulande einfach weniger.
Und in bezug auf China in besagtem Artikel soll das wohl so viel heißen wie: schaut sie Euch an, die Chinesen. Wirtschaftswachstum ohne Ende aber zu blöd für Sex, da unaufgeklärt. Mittelalter. Nicht so wie wir. Gut, wir sind nicht mehr reicher als diese hinterbliebenen Kommies, aber wenigstens haben wir noch unsere überlegene demokratische Kultur.

Na, dann brauchen wir ja auch nicht von den Chinesen lernen. Perfekt sind wir ja schon.

Zumindest die google-Suche weiß: im Westen herrscht erhöhter Sexbedarf!

Oder bedeutet das, daß der Osten einfach nur mehr Sex „in echt“ hat? Oder ist der Westen doppelt so aufgeklärt (inetwa) wie der Osten? Oder ist das einfach nur eine Art Penis-Vergleich? Oooder kann google jetzt Pseudo-Lautschrift (sex-east = Sexist)? Fragen über Fragen…

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