Wenn die Linke die Rechte…

Habeck hat schon vergessen, dass man auf die Linke die Linke erwidern soll, es sei denn, man will keinen Handschlag. Baerbock lacht ihn aus, ohne zu merken, dass ihr die Rechte entgegengehalten wird.

Was haben CDU/CSU nicht alles versucht, um diese aus einer Graswurzelbewegung entstandene Partei aus dem Parlament fernzuhalten. Was haben sie sich gefreut, wenn die Grünen einen ihrer vielen Anfängerfehler begangen haben. Was hat Friedrich Merz… aber nun ja, der hat es ja geschafft inzwischen, nach dem gefühlt zehnten Anlauf und ganz ohne die Hilfe der Grünen.

Aber wie heisst es so schön? „Wenn du einen Gegner nicht bezwingen kannst, umarme ihn.“.

Und diesen Soft Skill hat die SPD seit Ende der 60er erfolgreich gezeigt. Sie hat sich zugunsten der Regierungsbeteiligung schon 1966 bei der großen Koalition mit dem Ex-NSDAP-Mitglied Kiesinger schrittweise aus ihrem linken Profil verabschiedet. Mit der FDP hatte sie in der Folge dann zwar eine nicht minder konservative Partei im Boot, aber diese deutlich kleinere Partei konnte wie ein Juniorpartner behandelt werden und Willy Brandt und später Helmut Schmidt wurden Kanzler.

Ende der 90er dann die Sensation, als die SPD den „ewigen Kanzler“ Kohl stürzen konnte. Allerdings zu einem hohen Preis, Stichwort Agenda 2010.

Die Grünen hatten dieses Ziel immerhin schon von Beginn an auf ihrer Agenda, den „Marsch durch die Institutionen“. Wir hatten das damals so verstanden, dass es Mittel zum Zweck sei. Der Zweck sollte eine Veränderung der politischen Realität in Deutschland hin zu einem liberaleren, freieren und ökologischeren Deutschland sein. Davon ist kaum noch etwas übrig. Einzig der ökologische Schwerpunkt ist noch erkennbar. Es hat sich aber gezeigt, dass dieser wunderbar mit konservativen Standpunkten vereinbar ist. Steueranreize für ökologisch „bessere“ Industrieprodukte – das können auch CDU und FDP und beide haben inzwischen den Umweltschutz in ihrem Parteiprogramm.

Als Ex-Stuttgarter ist mir vor allem der Verrat dieser Partei an jenen, die ihnen letztlich zum ersten Ministerpräsidentenposten verholfen haben noch gut in Erinnerung. Die Stimmung in der gesamten Republik war nach dem Schwarzen Donnerstag zugunsten der Gegner des Milliardengrabs Stuttgart 21 gekippt. Die Grünen haben dies am besten für sich nutzen können. Plötzlich waren sie nicht mehr die kleinste Oppositionspartei im CDU-Mutterland, sondern die Identifikationspartei für alle, die aufgrund des überbrutalen Einsatzes der Polizei nicht mehr schwarz wählen wollten. Die Wahl wurde gewonnen und das Land befand sich im Demokratie-Rausch: wenn die CDU den Wählerwillen missachtet, wird sie abgewählt und dann richten es eben die Grünen mit dem Bahnhof.

Pustekuchen. Kretschmann ist seit damals Ministerpräsident in BaWü und am Bahnhof wird munter weitergebaut. Der Kostendeckel ist inzwischen um das Doppelte gesprengt worden und man stellt inzwischen fest: die Grünen begleiten nunmehr das Projekt „S21“ länger als es die CDU jemals hatte. Sprich: Stuttgart 21 ist das Projekt der Grünen mehr als jeder anderen Partei. Sie hatten nun 10 Jahre Zeit, es zu stoppen und wenn dies nicht der Fall ist, kann man sich nicht mehr rausreden und die Schuld auf andere schieben. S21 = Grünenprojekt.

Zuletzt ist es aber erstaunlich, wie sehr die Grünen von dem Freiheitsgedanken abgekommen sind. Verbote und Bußgelder sollen die Gesellschaft zu dem formen, was in ihrer Vision früher mal eine bessere und auch freiere Gesellschaft hätte werden sollen. Ihr Parteimitglied Saskia Weishaupt forderte den Einsatz von Tränengas und Schlagstock gegen Corona-Demonstranten. So, als könne man mit restriktiver Politik mehr Demokratie wagen. Das ist so, als wollte man mit der Rechten die Linke Hand schütteln – geht nicht, es sei denn, man schüttelt sich selbst die Hände.

NSA-Affäre: Win / Win / Win / Win für das System

Win für Merkel:

Herr Pofalla verbot uns das Maul, als wir Fragen bzgl. unserer Ausspähung durch die NSA stellten. Nun, da seine Chefin Merkel selbst ausgespäht wird, folgt nicht etwa eine Entschuldigung, das Einräumen von Fehlern, nein: sie empört sich, reisst genau jenes Maul auf, das uns durch ihren Knecht Pofalla verboten worden ist. Ausgespäht zu werden, das schafft Nähe, das stiftet Identifikation. „Ich bin eine von Euch“, höre ich Angie sagen.

Win für Google:

der Konzern ist „aufgebracht darüber, wie weit die Regierung scheinbar gegangen ist, um Daten aus unseren privaten Glasfaser-Netzwerken abzugreifen“ – dabei sind SIE es, die Daten sammeln und per Zwangs-Verbindung von Googlemail-/Youtube-/Google+-Accounts eine weitgehende Anonymität im Netz verhindern.

Win für die Presse:

sie schreibt über alles und besonders gerne über den neuen Skandal. Dass die Presse als verlängerter Arm der Politik ständig über die drohende Gefahr des Terrorismus berichtet (wie oft wurden schon „große Anschläge“ aufgrund von „geheimen Informationen aus sicherer Quelle“ angeblich „verhindert“?) und damit erst eine breite Akzeptanz von Geheimdiensten schafft, kümmert keinen mehr, denn die NSA, die uns ausspäht, scheint ja eine andere NSA zu sein als jene, die von der Presse eifrig promoted wird.

Hauptsache, der Mensch konsumiert die journalistische Diarrhoe.

Win für die Opposition:

Sie wird sich jetzt ganz arg darüber aufregen, dass ja wohl niemand mehr in diesem Land vor Spionage sicher ist. Dabei gibt es nicht eine Partei, die nicht in irgendeiner Form staatliche Schnüffelei betrieben hat. Sei es als Lauschangriff, sei es zu anderen Zeiten in anderen politischen Systemen.

Win für Obama:

er kann sich jetzt als starker Mann profilieren, der aufräumt. Dazu muss er nur behaupten, nichts von alldem gewusst zu haben und das dumme Volk wird es ihm – zumindest überwiegend – glauben.

Win für die NSA:

solange so etwas wie die NSA nicht abgeschafft wird, gibt es keine wirkliche „Strafe“ für sie. Schlimmstenfalls werden ein paar Köpfe rollen, aber durch Neustrukturierung und Qualitätssicherung wird sie strahlender über uns wachen als je zuvor.

Hach, dabei wäre es so einfach. Einfach die Regierung abwählen. Aber bei so enorm viiielen Arbeitsplätzen (bei denen die prekären Arbeitsverhältnisse mitgezählt werden…) MUSS man sie doch lieben, unsere Winner. Wer sind eigentlich die Loser? Tja, wer wohl?

Ich will zwei Dinge. Erstens: ich will meine Häme, meine Abscheu, meine Schadenfreude über jene ausschütten, die dieser Regierung dazu verholfen haben, im Amt zu bleiben. Ihr regt Euch über die NSA-Affäre auf? HALTET. EINFACH. DEN. RAND.

Und ich will Wahrheit. Einfach nur etwas Wahrheit will ich.

The winner takes it all – Fehlinterpretation der 100 wichtigsten Zahlen der Welt

heute.de schreibt: die Mehrheit der Deutschen will eine grosse Koalition.  Gott, muss ich ein Nischenmensch sein, denn ich kenne nur Menschen, die das nicht wollen. Zeichnet mich das aus?

Hmm, mal genauer hinschauen:

oha, die Mehrheit, das sind für heute.de 58 %. Klar, rein rechnerisch ist das eindeutig die Mehrheit, aber 58 % zufriedene Gewinner dürften ja eigentlich 42 % unzufriedene Verlieren sein.  Die grosse Koalition ist also 33,6 Mio Deutschen ein Dorn im Auge, und die Meinungsmacher in den Medien streuen noch etwas Salz darauf.

Ist das Propaganda oder bin ich einfach nur ein schlechter Verlierer?

Also wenn ich eine Umfrage bei zehn Hortkindern zu der Frage mache, wohin sie beim Ausflug denn gerne hin wollen und 6 von 10 wollen Fussball spielen, dann kann das sein, dass ich das durchaus nicht mache.

Wie? Warum lasse ich die dann überhaupt abstimmen? Ist das Schein-Partizipation?

Nee, es ist recht einfach. Wenn 4 Mädchen in der Gruppe sind, die einfach keinen Bock auf Fussball haben, dann müssen wir ein anderes Ausflugsziel finden. Die Mehrheit bekommt die Macht über das ganze Volk, nicht nur über die 58 % der Mehrheit, und mit der Minderheit muss sie verantwortungsvoll umspringen.

Also schaue ich mal genauer auf den Artikel und da lese ich: 25 % der Befragten fänden eine grosse Koalition schlecht, und 14 % wäre das egal.

Diese 14 % werden dann irgendwie zu den 58 % dazugerechnet, und daraus macht heute.de dann Folgendes:

heute01Gelb hervorgehoben: 58 % befürworten und erwarten die grosse Koalition und 14 % ist eine grosse Koalition egal und sie erwarten eine solche – ja und? Ich erwarte ziemlich schlechtes Wetter im November – aber finde ich das gut?

Warum machen die so etwas?

Ist das Propaganda oder leide ich an Fletchers Visionen?

Nun, es gibt ja etliche wissenschaftliche Publikationen zur Normativität von Nachrichten und speziell da von repräsentativen Umfragen.

Doch die muss man nicht bemühen; der Beweis kommt auf der selben Seite selbst:

heute03

1 Woche nach der Bundestagswahl – die ja nicht repräsentativ, sondern tatsächlich durchgeführt worden ist (munkelt man) – erhält die CDU nun 43 % der Stimmen. Wo kommen denn innerhalb einer Woche 1,5 % Wähler her? Da hat der Jubelgesang der CDU wohl einige Unentschlossene dazu gebracht, sich auf die Seite des Siegers zu schlagen. Süffisantes aus dem Artikel von CDU-Fraktionschef Kauder: „Der Generalsekretär hat gesagt, dass Wahlsieger das Lied singen dürfen.“. Und pinkeln gehen durften die auch.

Gleiches gilt für die FDP: die hat hier nur 3 %. Haben die innerhalb einer Woche 2 % verloren? Soo viele FDPler könnens dann auch nicht sein, die zur AfD wechseln wollen / müssen…

Nun denn, Zahlen werden gefaked – siehe Grubes Versprechen vor der Volksabstimmung, S21 werde nicht teurer als 4,5 Mrd €.

Zahlen werden geschönt – von den versprochenen 780 000 Kita-Plätzen sind (höchstens) 680 000 geschaffen worden und dabei sind solche mit eingerechnet, für die lediglich eine Betriebsgenehmigung erteilt worden ist, die aber noch nicht in Betrieb sind (z.T., weil sie erst noch gebaut werden müssen).

In jedem Fall sind Zahlen aber entscheidend – vor allem in einer Gesellschaft, die sich zur Entscheidungsfindung der Massenmedien bedient, weil diese vor allem eines sind: schnell.

Und genau das ist das Problem: schnell ist meistens gleichbedeutend mit oberflächlich.

 

Also bleibt mir zum Schluss nur noch eine Aussage:

 

Zahlen sind vor allem – nur Zahlen.

Andere Geschichte eines Nichtwählers

Der Mann liegt halb auf dem Gehweg, halb auf der Straße. Mein Blick bleibt sofort an ihm hängen. Ist er ohnmächtig? Nein… er regt sich, kriecht auf ein Fahrrad am Gehwegrand zu.

Ah, er ist also besoffen. Und zwar so dermassen voll, dass ihm selbst das Kriechen schwerfällt. Immer wieder erschlafft er völlig.

Der braucht offensichtlich Hilfe.

Nachdem ich das letzte Mal so etwas gemacht hatte, weiss ich, dass man zuerst die Polizei rufen muss. In Deutschland geht „öffentliche Sicherheit“ offensichtlich vor Gesundheit. Da erspare ich mir jetzt mal einen Kommentar.

Ich gebe also meinen Namen an und schildere das Gesehene. Eine Streife will nach dem Rechten schauen.

Inzwischen hat sich der arme Kerl irgendwie auf ein abgesperrtes Baugelände geschleppt und liegt jetzt auf der Bank.

Sie zu mir: „Komm, wir müssen wählen.“, dann sieht sie ihn. „Der wählt heute bestimmt nicht.“

Ich: „Nee. Der hat keine Wahl.“

 

Erst denken, liebe Spiegel-Leser (Spiegel-Titel vor kurzem: „Nichtwähler: träge, frustriert, arrogant“), dann verurteilen.

borna: geld kann man nicht s-sehn

Im Saarland am Saalrand…

(klicken zum Vergrößern)

Im Saarland gewinnt die CDU die Wahl, Teufel noch mal.

Also die Wahlbeteiligung lag gegen 14.00 Uhr bei 31 % oder so. Und davon haben wiederum 35 % die CDU gewählt. Etwa 11 % der Wahlberechtigten im Saarland haben also der CDU zu neuer Macht verholfen. Die FDP ist raus, aber die Piraten eignen sich prima als Substitut – da haben die Saarländer den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Ist es nicht interessant, dass die Piraten zulegen, während die FDP verliert? Seltsam…
Zurück zur möglichen Koalition der CDU mit der Piratenpartei: Wenn die zusammen koalieren, macht das meiner Rechnung nach ca 42,5 %. Das ist nicht gerade eine dicke Mehrheit, aber in der Not frißt der Teufel Fliegen. Interessant stelle ich mir allerdings die Koalitionsverhalndungen zum Thema Acta vor. Die CDU ist ja eher für die Datenspeicherung, die Piraten nicht – man will ja seine Cracks und Raubkopien vor dem Eingriff des Staates schützen. Als gemeinsames Feindbild könnten dann die Rockmusiker herhalten – der CDU sind deren Haare zu lang und die Piraten sind der Meinung, daß gestohlen werden darf, was nicht niet- und nagelfest ist. Nein, wirklich: wie der Vorzeigedemagoge Lauer von der PP sagte (vgl. mein letzter Artikel), ist Kopiererei kein Diebstahl wie jener im Supermarkt – denn dort verschwindet die Packung Nudeln, die Musik bleibt aber trotz Kopie bestehen.
Dumm nur, daß der eigentliche Schaden bei der Kopiererei nicht das Verschwinden der Musik, sondern die unbezahlte Arbeit des Autors ist. Letztere macht nur dann Sinn, wenn Leute, die das Zeug hören, ehrlich sind und sagen: „hör ich, weils mir gefällt, also hat der Typ was richtig gemacht und dafür zahle ich“.

Also ich denke, die CDU hat sich den Teufel von den Piraten ausgeliehen, weil deren Ambitionen für Autoren die Hölle auf Erden sind.

Wie, das Gerede von Teufel, Beelzebub und Hölle hält jemand für mittelalterlich? Nun, die Piraten bringen uns genau dahin. Im Mittelalter waren Künstler nämlich scheiße bezahlt, weil sie nichts gebaut haben, nichts produziert, was man anfassen kann. Und genau so primitiv denken die Piraten auch: Musik kann man nicht anfassen, also kann sie auch keinem gehören. Verstehe. Ich sagte ja bereits: nur, was nicht niet- und nagelfest ist…

UPDATE:

(klicken zum Vergrößern)

…wer sich mit dem Teufel einläßt… gestern sah das Foto der CDU-Jubler doch noch anders aus, oder?

S21: die Bahn bedroht die Demokratie – und siegt.

Die Ergebnisse der Volksabstimmung liegen überwiegend vor. Demnach scheint der Ausstieg aus der Mitfinanzierung des Projektes S21 durch das Land durch die Bürger abgelehnt.
Dies muß man letztendlich anerkennen.
Aber welche Schlüsse für die eigene Position zu S21 gilt es dafür zu ziehen?
Soll ich jetzt für S21 sein?
Hatte ich die ganze Zeit über unrecht?
Bin ich Mitglied einer Minderheit?
Soll ich die Klappe halten?

Moment mal.
Was wurde denn da beschlossen?
Und wie ist das Ergebnis zustande gekommen?
Alle Welt regt sich im Moment über die Banken auf. Über Konzerne. Die Verflechtung der Politik mit der Wirtschaft. Stichwort occupy usw. – aber das sind nicht die einzigen: nenne mir einer auch nur einen einzigen Stammtisch, an dem nicht über „die Manager“ und „die Banken“ gelästert worden ist.
Und nun?
Nun ziehen viele den Schwanz ein – weil die Bahn gedroht hat. Richtig: sie hat die Bürger bedroht. Wenn Ihr nicht pariert, zahlt ihr Strafe und zwar 1,5 Mrd €. Das ist pervers?
Nun, genau das haben die gemacht und es war eines der wichtigsten Argumente jener Leute, die nicht aus der Finanzierung aussteigen wollten. Da hieß es: wenn wir aussteigen, zahlen wir.
Also steigen wir lieber nicht aus.

Also, man kann ja für Stuttgart 21 sein. Ich frage mich zwar, welche Argumente man genuin dafür heranzieht und nicht dem CDU/FDP-Vostand nachplappert, aber das ist nun mal eines jeden Bürgers eigene Entscheidung.

Nur eines ist enttäuschend und bitter: daß Menschen ein demokratisches Recht wie die Volksbefragung wahrnehmen und gleichzeitig ihr demokratisches Bewußtsein zum Teufel jagen, wenn die Bahn mit Strafe droht.

Ist das eine freie Abstimmung?

Die Bahn sieht eine Mehrheit gegen S21 und droht. Sie bedroht die Menschen dieses Landes. Sie pfeift auf die Meinung der Menschen und beeinflußt sie mit Druckmitteln. In einer Zeit, in der ganze Demokratien Angst davor haben müssen, von irgendwelchen Rating-Agenturen in die Rezession gewertet zu werden, setzt die Bahn ein perfides Mittel ein: sie malt den Teufel „Pleite“ an die Wand.

Da frage ich mich, was ich mit meiner Bahncard machen soll. Ist denen klar, daß die ebenfalls pleite gehen, wenn das Land und die Leute pleite gehen?

Erzähl mir noch einer, daß die Wirtschaft keine politische Macht besitzt und genau das ist ein Grund, weiter gegen dieses Projekt zu sein. Hier geht es eben um mehr als „nur“ einen Bahnhof. An S21 hat sich wie sonst kaum bei einem angeblich unpolitischen Wirtschaftsprojekt gezeigt, wie weit die Verschmelzung von Politik und Wirtschaft schon vorangeschritten ist.

Heute haben nicht die Bürger des Landes Baden-Württemberg gewonnen, sondern der Konzern DB.

tagesschau.de 05.10.2011 – das Review

Ach ja, die gute alte Tagesschau. War ihr Online-Ableger früher noch lediglich eine TV-begleitende Interne-Präsenz, bemüht man sich seit einiger Zeit darum, ein eigenständiges Profil zu erarbeiten. Diese Reihe soll in unregelmäßigen Abständen der Frage nachgehen, welches Profil genau das sein soll. Heute beginne ich mit dem ersten Review.

Der Aufhänger:

Griechen legen ihr land lahm. Seltsam. Die scheinen mir ganz schön agil zu sein. Die sollen also daran schuld sein, daß Griechendland pleite ist? Oder kann es sein, daß man den sonst so platten Vorwurf, die Politiker seien daran schuld, gelten lassen darf? Tatsache ist jedenfalls: wer immer die Pleite verursacht hat, den Sparkurs ordnen Politiker an, sparen muß das Volk.

Und wieder wird die Bonität eines Landes abgestuft:

Wie ist das eigentlich…? Wenn unter den Starken einer schwach ist, ist das ein Gefälle, klar. Aber so, wie gerade alle abgestuft werden, frage ich mich, ob es (außer China) überhaupt noch Staaten gibt, die als zahlungsfähig eingestuft werden… Wie wäre es, wenn wir einfach alle bankrott gehen und den gleichen schlechten Rang bekommen – pares inter pares sozusagen? In diesem Fall könnte ich die konstruktivistische Wirkung von Ratings durchaus akzeptieren…
Aber mal was anderes: alle werden abgestuft, und Italien nun auch. Das wäre ja eigentlich nicht so wichtig, wenn es da nicht den Berlusconi gäbe, auf dem Tilmann Kleinjung mal wieder rumhacken könnte. Nicht, daß ich Berlusconi-Fan wäre. Aber liebe Tagesschau, wir haben es ja inzwischen kapiert: er ist umstritten, Ihr mögt ihn nicht. Das ist zwar richtig, aber inzwischen keiner Meldung mehr wert. Ich stelle mir Eure Redaktionssitzungen inetwa so vor: „…ach so, man darf mal wieder auf Berlusconi hauen. Kommt immer gut. Wer möchte? Nein, Du durftest schon letztes mal. Heute ist Tilmann dran. Dafür darfst Du die nächste Papst-Dresche machen.“
Macht doch mal was Neues. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ – das ist nicht von mir, sondern von einem Tagesthemen-Moderator aus einer Zeit, als die ARD noch Nachrichten und keine Hetze gemacht hat. Und nochmals: nein, ich habe für Berlusconi nichts übrig, aber die Tagesschau könnte ihren Mut ruhig mal hier in Deutschland zeigen, wo es ein paar Leute gibt, die mindestens genauso fragwürdig sind, die aber keiner öffentlich angreift, weil deren Stuhl nicht wackelt und man über die nicht hinter vorgehaltener Hand reden darf. Mutig ist das jedenfalls nicht, was die Tagesschau da macht. Jeder Depp hier weiß, das Berlusconi ein Depp ist.

FDP, China, Rußland, Waffenlieferungen:

Es folgen ein überflüssiger Bericht über Interna aus der FDP-Basis (das ist die Partei, die man nur kennt, wenn sie gewählt wird – inhaltlich haben die nichts außer Liberalismus zu bieten) und Hintergründe zum Veto der Chinesen und Russen gegen eine UN-Resolution, die Sanktionen gegen Syrien vorsieht. Dabei wird süffisant darauf hingewiesen, daß sowohl China als auch Russland Waffen- und Ölhandel mit Syrien betreiben. Wie schön, daß Deutschland ja niemals mit „Schurkenstaaten“ Waffenhandel betreiben würde…


Käpt´n: iPhone 5 – Nachricht – keine iPhone 5 – Nachrichten zu sehen!

Eine Nothandlung bei Nachrichtenmangel: keine Nachrichten als Nachrichten verkaufen. Heute: es gibt kein iPhone 5, jedenfalls im Moment noch nicht. Zwar war der Hype darum recht groß – so landeten gestern gleich zwei Blogs, die minutiös von der Produktvorstellung berichteten, bloggten und twitterten bei den angesagten 6, aber das sind nunmal Apple-Fans und Konsumenten, die selbst entscheiden dürfen, ob sie einen Hype mitmachen (oder nicht) und dann auch über ihre Enttäuschung schreiben dürfen (oder nicht), und die Leser bei WordPress dürfen ebenso selbst entscheiden, ob sie das alles verfolgen (oder nicht).
Aber darf das ein öffentlich-rechtliches Medium? Natürlich ist die Vorstellung eines lange erstehnten Produktes eine Wirtschaftsnachricht und somit von Belang für die Öffentlichkeit. Aber ist die Nicht-Vorstellung desselben Produktes, also die Enttarnung eines Hypes als heiße Luft von Belang für die Öffentlichkeit? Heizt Jan Tussings Artikel bei der Tagesschau den Hype nicht noch mehr an? Kann man nicht sagen: kein iPhone 5, keine Nachricht? Ich würde sagen, da kann sich die Öffentlichkeit schon selbst im Netz ausheulen und dort passen Konsumbefindlichkeite auch hin und wirken weniger peinlich als bei der Tagesschau.
Und wenn jetzt jemand denkt, da ginge es nicht um Konsum, dem sei auf den Artikel daneben hingewiesen: „Das Telefon: Der einfachste Zugang zur digitalen Welt„. Nein, das ist kein Werbeflyer vom Media-Markt, sondern will zunächst wie eine Art Analyse der technischen Möglichkeiten von Smartphones sein. In Wirklichkeit ist es aber bestenfalls eine Marktanalyse und auch der im Video befragte Armin Rott von der Hamburg Media School spricht eher über Marktmechanismen denn über Medien. Dieselben Gesetze gelten genauso für Autos oder Waschmittel: man muß den Käufern immer was Neues bieten, sonst gibt es keinen Kaufanreiz.
Nun gut, der Artikel von Svea Eckert ist an sich nicht schlecht, aber die Überschrift führt in die Irre und die Motivation wird angesichts der Positionierung (direkt neben der Nicht-Nachricht bzgl. des iPhone 5) doch recht deutlich:

Abschließend folgen noch nichtige Artikel zum Nobelpreis für Physik, Vaclav Havels 75. Geburtstag und einer Retroperspektive zu Gerhard Richters Werk.

Utoya – fast schon wieder vergessen…

Einzig herauszuheben ist der Artikel Claudia Buckmeiers (Buckenmaier? Zweierlei Angaben im Artikel) über die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Marcel Geffe, den Mann, der beim rechtsterroristischen Angriff von Utoya 20 Menschen das Leben gerettet hat. Die Meldung selbst ist – so löblich Geffes Einsatz auch ist – nicht mehr als guter Boulevard, aber die Anmerkung zur „Rückeroberung“ der Insel ist wichtig. Hier geht es um die Aussage, daß Terror mitnichten in der Lage ist, Interessen durchzusetzen. Weiter ist die Meldung angesichts der nach wie vor vorhandenen braunen Gefahr an sich wichtig.

Alles in allem eine höchstens mittelmäßige Tagesschau. Gut, die Ereignisse kann man nicht herzaubern, aber muß man es dann bei den Nachrichten tun? Meine Wertung: 53%, oder um es mit Moody´s zu sagen: Ba3 😉

Das Verständnis der Piraten von der Urheberschaft

Die Piraten sind dafür, kreative Schöpfungen frei zugänglich zu machen. Eine Begründung dafür findet sich in ihrem Programm: Kreative griffen bei der Schaffung neuer Inhalte auf bestehende Schöpfungen zurück (Programm Punkt 2 ff) .
Dem liegt ein einfaches Verständnis kreativer Schöpfungsprozesse zugrunde. Kreativ zu sein, bedeutet nicht, ausschließlich medial verfügbare Schöpfungen zu verwerten. Kreativität ist die Gesamtheit intrinsischer Prozesse im Hinblick auf Auslöser und Ergebnis. D.h. von außen betrachtet mag ein Künstler vermitteln können, was ihn zu einem kreativen Prozess bewogen hat und – natürlich – was dabei rausgekommen ist. Was aber währenddessen geschehen ist, ist ungleich schwerer zu vermitteln. Paul McCartney hat einmal gesagt, er habe die Melodie von „Yesterday“ geträumt. Hat er auf bestehende Schöpfungen dabei zurückgegriffen und wenn ja, auf welche? Es ist wichtig, dies in Frage zu stellen, denn die Piraten tun dies nicht und damit blenden sie all jenes Unfaßbare und Unvermittelbare aus, das einen Künstler zum Künstler macht.
Ein zweiter Kritikpunkt ist: selbst, wenn ein Musiker auf den Schatz früherer Schöpfungen zurückgreift, sind es doch auch wieder Schöpfungen von Künstlern, die ihrerseits viel in ihre Schöpfungen investiert haben und mitnichten etwas getan haben, was jeder hätte tun können.
Denn wenn jeder einfach so kreativ sein könnte, indem er den bestehenden Schatz an Schöpfungen nutzt, wieso tut es dann nicht jeder bzw. wieso sind dann nicht alle Neuschöpfungen gut?

Mir scheint, die Piraten sehen das Internet als etwas ganz Besonderes, Neues an. Deshalb sind sie offensichtlich überwältigt von der Masse an Kreativität, vor allem Musik, die sie dort im Netz finden und vermutlich schließen sie daraus, die Menschheit sei kreativer geworden.

Dies ist mitnichten der Fall bzw. wenn dem so wäre, müßten sie es beweisen. Die Tatsache, daß man per youtube oder grooveshark an so gut wie jedes Musikstück kommt, reicht mir als Beweis nicht aus. Denn es findet sich dort bei weitem nicht alles. Alte mongolische Gesänge findet man dort mitnichten und schon gar nicht, wenn man als Westeuropäer in seiner jeweiligen Sprache und Schrift danach sucht. Das, was es auf diesen Plattformen gibt, ist ein Spiegel des Musikgeschmacks der Internet-User, und der ist durchaus beschränkt. Im Großen und Ganzen finden Menschen des Westens dort westliche Popmusik.
D.h.: das westliche Internet ist ein Spiegel der westlichen Kultur. Hier gilt also dasselbe, was für alte Medien gegolten hat. Was früher das Fernsehen und davor die Live-Performance war, findet heute über das Internet statt. Ich sehe da prinzipiell keinen Unterschied, außer den, daß alles schneller und größer geworden ist.

Und somit ist es also erlaubt, die Frage der Urheberschaft genauso zu behandeln wie in früherer Zeit. Ein Urheber stellt mit einem Aufwand, den andere nicht betreiben (weil ihnen das zu mühsam ist) ein Werk her und sein Erfolg ist nur durch eines meßbar: seine Verbreitung. Ein Ohrwurm mag manchmal ein Zufall sein und ein One-Hit-Wonder kommt immer wieder vor. Es gibt aber Musiker, die einfach ein Händchen dafür haben und sie gehören entlohnt. Es ist davon auszugehen, daß hinter der Leichtigkeit des Ohrwurms eine Menge Arbeit steckt, eine Menge Know-How, das mühsam erarbeitet wurde. Alleine schon der Umstand, daß man sich entschließt, eine so unsichere Branche wie jene des Musikbusiness zu wählen, gehört entlohnt. Dieses Wagnis gehen verdammt viele ein, anstatt eine sichere Lehre bei der Bank anzustreben und die wenigsten von ihnen haben damit Erfolg. Es ist oft ein elendes Leben, das sie führen und selbst Bands, die einen Plattenvertrag haben, müssen oft knapsen, wo es nur geht.

Es ist ein wenig wie die Goldsuche. Tausende verlassen ihr Zuhause, geben Geld für Ausrüstung aus, suchen, graben, verzweifeln. Der Goldrausch ist mitnichten eine Erfolgsgeschichte, sondern eigentlich die Geschichte großen Elends. Eigentlich müßten die Menschen Reißaus nehmen, wenn sie nur davon hörten, daß es irgendwo Gold gibt. Stattdessen passiert folgendes: einer findet einen dicken Goldnugget, hat für sein Leben ausgesorgt. Und was geschieht? Erneut zieht es tausende und abertausende an den Ort, wo einer etwas gefunden hat.
Die Piraten wären in diesem Fall eine Partei, die der Meinung ist, daß das ganze Gold, das gefunden wird, an einen frei zugänglichen Ort gebracht wird und jeder, der will, sich dort bedienen kann. Was wäre die Folge? In Kürze wäre alles weg und ganz sicher wäre nicht alles gerecht verteilt.
Jetzt argumentieren Piraten so, daß der Vergleich mit dem Gold hinkt, denn die Musik würde ja nicht von einem Besitzer zum anderen wechseln, vielmehr würde sie vervielfältigt. Da es technisch möglich sei, exakte Repliken dieses Besitzes zu machen, würde keiner ärmer, sondern andere reicher werden. Das ist ein völliger Trugschluß. Denn selbst, wenn alle Menschen in der Lage wären, Gold zu vervielfältigen, wäre das Gold bald schon nichts mehr wert und es gäbe bald schon keine Goldsucher mehr, sondern nur noch Goldduplizierer. Diese gäbe es aber bald auch nicht mehr, da Gold nur deshalb so wertvoll ist, weil es knapp ist.
Die Piraten sind der Ansicht, daß es andere Wege gäbe, an Musik zu verdienen. Wenn dies aber nicht durch CD-Verkäufe ginge, wodurch dann? Live-Auftritte? Da haben die Piraten dann aber einfach mal ausgeblendet, daß man an Live-Auftritten in den letzten Jahrzehnten nur deshalb verdient hat, weil die Musik durch die allseits verhaßten Plattenfirmen gehyped worden ist. Niemand hätte je 130 € für Michael Jackson gezahlt, wenn er „nur“ die Musik bekommen hätte. Und auch den „Star“ Michael Jackson, für den dann doch einige gezahlt haben, hätte es ohne Hype nicht gegeben.
Wir müssen uns das so vorstellen, daß ohne den (historisch belegten) Hype Musiker auf exakt jenem Niveau gewesen wären, auf dem sie vor Erfindung der Schallplatte gewesen sind. Die wenigen, die davon leben konnten, waren ein paar studierte Musiker und wenige Hochbegabte, die sich selbst vor allem durch Auftritte finanziert haben.
Und genau darauf wird es auch wieder herauslaufen bzw. es ist schon zu sehen, daß das Musikerdasein ein karges ist, es sei denn, man gehört zu den wenigen Glücklichen, deren Label mehr als nur die Kosten trägt. Vor allem verdient man, wenn man sich kaputt tourt.
Ich will nicht ungerecht sein: die Technik macht alles schneller und besonders die Kreativität profitiert davon. Das möchte ich nicht missen. Die Piraten erkennen in ihrem Programm sogar die „berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Urheber“ an, schreiben aber kein Wort dazu, wie diese interessen gewahrt werden sollen. Es fehlt also jegliche konkrete Vorstellung davon, wie der Urheber nun zu dem Geld kommen soll, daß ihm laut Piraten zusteht.
Stattdessen steht ganz klar darin, daß dies nicht durch Plattenverkäufe geschehen soll, denn Platten sollen für den Privatgebrauch frei kopierbar sein.

Natürlich habe ich kein Problem damit, wenn dies in jenem Umfang geschieht, in dem früher Kassetten kopiert worden sind. Das Problem an der heutigen Zeit ist, daß man per mp3 und Internet Musik jedem Menschen auf der anderen Seite der Welt zur Verfügung stellen kann. Das ist also nicht dasselbe wie der persönliche Kontakt früher zu einem Freund, dem man eine Band wärmstens empfohlen hat („hey, hast schon xy gehört? Nein? Ich leih es DIr mal aus, kannst ja überspielen“).

Den Song zu schreiben, den Millionen von Menschen auf der Straße pfeifen, erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Commonsense, dem Allgemeinwissen, der Befindlichkeit der Gesellschaft. „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ – vielleicht war es ein tatsächlicher schlechter Sommer, vielleicht aber auch nicht. Tatsache ist aber, daß das Lied sofort zündet, da jeder das Gefühl kennt, sich im falschen Sommer zu befinden. Dazu eine Melodie, die die Melancholie und gleichzeitige Beschwingtheit in der Erinnerung trifft – das soll jeder können? Das soll Zufall sein? Es hört sich leicht und beschwingt an, ein Song, bei dem man vor sich hin faulenzen kann. Nur daß der Autor bestimmt kein Faulenzer war, als er sich das Know-How für etwas, das so leicht klingt, draufgeschafft hat.

Diese Arbeit gehört entlohnt. Und wenn sie nicht entlohnt wird, wird sich auch keiner mehr diese Arbeit machen.

Die Piraten nennen Werke eine „freies Gut“, da sie durch einen Kopierschutz künstlich unfrei gemacht werden. D.h.: alles, was man sich aneignen kann, ist frei. Das ist ein Denkfehler – nur, weil man Werke kopieren kann, können sie dennoch das Eigentum eines anderen sein. Viele Läden haben ihre Waren im Sommer draußen vor der Türe, unbewacht. Sich diese anzueignen ist Diebstahl, egal, ob es jemand merkt und verhindert oder nicht. Im Umkehrschluß würde dies ja bedeuten, daß jeder unbemerkte Diebstahl rechtmäßig wäre.

Unter 1.1 steht „die Schaffung von künstlichem Mangel aus rein wirtschaftlichem Interesse erscheint uns unmoralisch“. Wieso ist es ein künstlicher Mangel? Gibt es ein Menschenrecht auf die neue Platte seiner Lieblingsband? Haben sich diese Bands gegründet, um den Hörern zu einem Recht zu verhelfen? Ist es nicht vielmehr so, daß da ein Handel stattfindet? Einer kann etwas so besonders gut, daß andere dafür bezahlen, um es zu hören – dieses Prinzip ist bei Konzerten unumstritten. Warum soll das bei der Konservierung von Musik anders sein? Einer setzt sich wochen. und monatelang hin, um Musik zu schreiben, einzustudieren, aufzunehmen. Wieso sollen andere das Recht haben, die Früchte dieser monatelangen Arbeit zu essen, ohne dafür zu bezahlen?
Es ist also kein künstlicher Mangel, sondern ein freiwilliger. Eine bestimmte Musik hören zu wollen, ist die freiwillige Entscheidung jedes einzelnen. Wenn einer die Musik von Lady Gaga gutfindet, aber das Geld dafür nicht ausgeben will, muß er es sich halt verkneifen. Er wird daran nicht sterben.
Die Schaffung eines existenzgefährdenden Mangels an Geld, an Essen, an Kleidung kann es geben, und das ist das unmoralisch. Aber auch die Sicherung des Existenzminimums gegenüber Arbeitslosen bspw. über die Sozialhilfe heißt nicht, daß der Staat der Bank das Geld, dem Bauer die Produkte oder dem Kleidungshersteller die Kleidung wegnimmt – er bezahlt sie! Wenn es ein Recht, Lady Gagas neue CD zu besitzen gäbe, müßte der Staat der Logik der Piraten folgend also errechnen, wie viele Menschen ihre Platte konsumiert haben und ihr dann dieses Geld erstatten – ein lachhaftes Unterfangen wäre das.

Es heißt im Piratenprogramm, Kopierschutzverfahren erschüfen Kontrollierbarkeit. Dies läßt sich technisch und rechtlich beheben. Technisch dadurch, daß Kopierschutz ausschließlich zum Schutz vor unautorisierten Kopien genutzt wird und rechtlich dadurch, daß ein Zuwiderhandeln schlicht und einfach verboten wird. Wenn dies dennoch gemacht wird, dann deshalb, weil die User da mitmachen – wer hat die Leute gezwungen, sich bei Online-Spielen zu registrieren?

Was die Inoperabilität bei Abspielsystemen angeht, die durch Kopierschutz entsteht, ist das kein Argument gegen den Kopierschutz, sondern vielmehr ein Argument gegen das Kopieren. Würden Werke nicht dermaßen weitverbreitet kopiert werden, hätten die Softwarefirmen keinen Grund, ihre Werke zu schützen.

Es ist wahr, daß Plattenfirmen zu viel Macht besitzen und – das ist in der Wirtschaft leider so – monopolistisch vorgegangen sind. Es ist auch wahr, daß das Internet neue Formen der Vermarktung geschaffen hat, allerdings wird dabei oft negiert, daß Stars, die aus myspace und youtube hervorgegangen sind, dies aufgrund genau jener Dominanz Googles geschafft haben, die die Piraten verabzuscheuen vorgeben.

Jedoch gibt es einen anderen, wichtigeren Punkt. Ich habe mehrfach vom Know-How gesprochen. Ein besseres Wort fällt mir nicht ein, denn Wissen ist zu rational, Intuition verschweigt die Systematik, Begeisterung und Disziplin, mit der Künstler ihrer Wege gehen, um etwas Neues zu schaffen. Es ist, wie im Wort „Kunst“ schon verborgen, ein Können. Können aber zeichnet sich dadurch aus, daß einer etwas kann und andere nicht. Und genau dieses Können muß man wollen. Es ist eine Entscheidung. Die Entscheidung, etwas ganz anders als alle anderen machen zu wollen. Ein Künstler wird sich immer auf Abwege begeben, und wenn das Internet noch so viele Möglichkeiten bietet. All die interessanten und sicher auch guten Spielereien auf youtube wie „human beatbox“, bastard pop und sonstige neue Kunstformen der medialen Zerstückelung und Neuordnung mögen frisch und neu klingen, aber einer Band wie Beirut ist auf einfache, fast schon klassische Weise gelungen, was Künstler seit Jahrhunderten schon gemacht haben: sie haben sich einfach auf Abwege begeben. Weil Kunst bedeutet, anders sein zu wollen und vielleicht auch besser. Ist das schlimm? Es ist schlimm, wenn man sieht, wie die ganz oben sich selbst geil finden – Lady Gaga und Michael Jackson. Aber bis sich der kleine Furz aus der Provinz mal so verkauft wie jene beiden, wird er den Schutz von Plattenfirmen wohl brauchen, so leid es mir tut für die Piraten.

In 1.4 heißt es wieder: „Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem
Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit. “
Das ist ein materielles Verständnis von Kunst. So, als habe man sich an einem begrenzten Fundus materieller Güter bedient und somit diesen gemindert. Weiter müsse man also dies wieder zurückführen. Das strotzt nur so vor Denkfehlern. Kunst entsteht am seltensten aus Kunst und selbst dann wäre noch die Frage, woraus diese entstanden ist. Der Künstler macht aus dem Alltag etwas Unvorhergesehenes: aus rotem Lehm macht er Handabdrücke an Höhlenwände, aus den Reißzähnen von Säbelzahntigern Amulette, aus Fett und einem alten Stuhl ein Kunstwerk. D.h., daß da gar nichts mehr rückführbar ist. Auf dem Weg vom rohen Material hin zum Kunst-Stück ist etwas passiert, was sich materiell Meßbarem entzieht. Man könnte sagen, es sei die Fähigkeit, den Kontext zu verändern, zu extrahieren, der Mut, die Verzweiflung, der Wille, seinen Handabdruck auf der Höhlenwand der Geschichte zu hinterlassen, aber trotz aller Analyse bleibt ein unbestimmbar großer Teil dieses Prozesses im Dunkeln. Dieses Etwas ist auf untrennbare Weise mit dem Individuum verbunden und kann ihm nicht genommen werden. Es hat ein Recht darauf, es bereitzustellen sowie es wieder zu entziehen.
Wenn also die Piraten etwas zurückhaben wollen, können sie sie haben, die A-molls oder D-Durs, die einzelnen Trommelschläge, die einzelnen unzusammenhängenden Worte und Buchstaben. Sie sollen sich damit einschließen; wenn sie wollen, auf ewig. Und vielleicht schaffen sie es auch nur annähernd, aus diesen Bruchstücken von Musik und Text etwas zu schaffen, das so beseelt ist, daß jemand anders bereit wäre, Geld dafür auszugeben. Und wenn sie das geschafft haben (und ich bin mir sicher, daß es welche gäbe, die das lernen könnten, wenn sie nicht vorher aufgeben würden, weil es bis dahin nix zu fressen gibt), dann sollen sie sich nochmal hinstellen und sagen, daß jeder ihre Musik frei kopieren darf, da sie ja aus bereits Bestehendem erschaffen worden ist. Da bin ich aber mal gespannt.

Piraten: die neue FDP?

Schön, daß ich mich in bezug auf den Wahlausgang vor nunmehr 2 Jahren geirrt habe. Damals erkannte ich an, daß 2 % aus dem Stand bemerkenswert wären.

Nun schaffen die bei der Wahl in Berlin satte 9 %. Was Detailfragen zur Sozialpolitik oder dem Urheberrecht angeht, hat sich nach einem Blick ins Parteiprogramm aber nicht viel getan. Klar, das Argument war ja: wir wollen uns zuerst eine Meinung bilden und dann erst eine solche vertreten. Aber reichen da 2 Jahre nicht aus?

Wie gesagt, immerhin ist diese Wahl eine weitere Watsche für die Etablierten, wobei ich es ja schon süffisant finde, daß der Stimmenzuwachs in Berlin antiproportional zum Stimmenverlust der FDP zugenommen hat. Sind das die neuen Liberalen? Kind of…

Na jut, Balin is Balin, auch wenn es wie ein Bundesland daherkommt. Die Wahlverhältnisse sind dort andere als bspw. im Ruhrpott. Deshalb halte ich diesen Versuch für sinnvoll und bin mal gespannt, wie die sich in der täglichen politischen Arbeit positionieren. Vorher konnten sie mangels elaborierter Meinung schweigen – das wird nun nicht mehr gehen.

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