Keine Angst vor Autos

Hamburger SV - SV Werder BremenDas nennt man im Arbeitsjargon dann wohl … Durchsetzungsvermögen (vgl. Interview mit Daniel Illmer).

Dass der Profisport immer weiter kommerzialisiert wird, liegt in seiner Natur. Aber muss das auch beim Freizeitsport sein?

Jedes mal, wenn ich bei einem Spaziergang im Park in den Kondensstreifen eines 15 cm an mir vorbeirasenden Freizeit-Ullrichs eingesogen werde, frage ich mich das. Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn ich einem Käfer / Glassplitter / Kackhaufen ausweichen müsste, so ganz plötzlich. Soll bei Spaziergängen ja durchaus vorkommen. Wenn ich also einem dieser Kamikaze-Fahrer in die Bahn springen würde. Meine Freunde auf zwei Rädern haben inzwischen locker die Fahrt eines Stadtautos auf dem Tacho, welcher natürlich alle Daten live auf runtastic hochlädt. Ein Zusammenprall bei dieser Geschwindigkeit ist in der Lage, so ziemlich jeden Knochen zu brechen, den ein Mensch zu bieten hat. Inzwischen habe ich bei meinen Kindern weniger Angst vor den Autos, denn die sind auf der Straße. Die Sport-Radfahrer hingegen sind direkt neben mir, auf dem Gehweg, ohne trennenden Bordstein.

Nun ja, dieser persönliche Ärger ist das eine. Das Andere ist der Zusammenhang, in dem die Rationalisierung des Freizeitsports steht. Nein, ich habe nichts gegen Sport, ich habe nichts gegen Leistung, ich habe nichts gegen den Willen zum Sieg. Jahrelang habe ich Fußball gespielt und alles gegeben, und wenn jemand faul rumgestanden ist, habe ich die Klappe aufgerissen. Aber Motor war immer letztlich der Spass an der Sache im Wissen darum, dass es ein Spiel ist. Man sollte sich nach dem Spiel noch die Hand geben können. Einer, der Blutgrätschen verteilt, bekommt von mir nicht die Hand. Es gibt Grenzen. Und komme mir jetzt keiner mit Mädchen-Fussball. Meiner Erfahrung nach hat sich der Spass an der Sache immer ausgezahlt. Wer glaubt, faires Spiel sei unproduktiv, lebt im Mittelalter. Die wahren Loser waren eigentlich immer jene, die gefoult haben und viel über Leistung geredet, aber umso weniger Leistung gebracht. Nur ist sie nicht auszurotten, die vor allem verbale Leistungskultur im Sport, und sie scheint immer mehr Zuwachs zu bekommen: die Labersäcke auf dem Feld tragen kein Kondom, so sehr vermehren sie sich.

Und nun lese ich in einem Interview auf heute.de, welch beredte Sprache die sportliche Betätigung doch über unseren wahren Charakter spricht. Ein Sportwissenschaftler schmeisst sein anstudiertes Wissen den Imperativen des Arbeitsmarktes vor die Füße und interpretiert Kompetenzen des Organisierens, des Haushaltens, der Kommunikation, ja sogar Führungsqualitäten in die freizeitliche Sport-Betätigung hinein.

Das mag ja sogar stimmen, aber ist es nicht schade, dass Sport ausschliesslich deshalb gut sein soll, weil er dem Zweck der Produktivität dient? Darf man Sport auch aus Spass an der Freud´ machen? Und ist man dann automatisch ein schlechter Sportler? Sorry, aber ich glaube, Sport-Genies wie Maradona oder Pelé waren letztlich so gut, weil sie immer auch Spass an der Sache hatten. Das kapiert aber so ein minderbemittelter mittelmäßiger BWL-Sportler nicht. Für den ist Sport gut, wenn er ihn zählen kann. Und wenn es eine Qual ist, ihn auszuüben. Also vor allem muss er langweilig sein, denn nur dann ist er gut, ganz so wie Arbeit. Kunst ist brotlos, klar.

Wenn das nun jemand für kleinlich hält, erinnere ich daran, dass aus diesem positiven Nebeneffekt schnell eine Bedingung werden kann. So etwa:“Oh, du spielst Fussball / fährst Rad / springst Seil? und? Wieviel Kalorien am Tag?“.

Radfahrende Möchtegern-Ullrichs am Bärensee

Eigentlich ist der Bärensee die Location in der Nähe Stuttgarts für Stuttgart-Flüchtlinge: schnell mit dem Auto zu erreichen, Naturschutzgebiet, schöne Wanderwege am Rande eines Sees (eigentlich zwei) und eine Wirtschaft mit guter Küche für hungrige Wandernde.

Das Problem ist, daß die Freizeit-Karrieristen diese Location seit einiger Zeit für sich entdeckt und inzwischen okkupiert haben. Der Tag, das Wetter, die Stimmung kann noch so perfekt sein, man wird alle halbe Minute von einem der gehetzten Jogger oder buntgescheckten radfahrenden Litfaßsäulen zur Seite gedrängt. Klar, die wollen natürlich auch leben und ihre Freizeit genießen. Nur, daß ich mir schwer vorstellen kann, was das mit Freizeit zu tun hat.
Nicht, daß ich unterschiedliche Vorstellungen von Freizeit nicht tolerieren könnte. Hunde jeglicher Größe sind auf den einen oder anderen nunmal Furcht einflößend, aber solange die angeleint sind, ist es mir egal. Und was die Zweirad-Fahrer angeht: sollense doch Werbung auf ihren Radlerhemden, -hosen, ohrringen haben. Das Problem ist nur, daß deren Vorstellung von Freizeit mit meiner (und der vieler anderer entspannter) Bärensee-Besucher kollidiert: obwohl es extra asphaltierte Radwege gibt, hört man auch auf den unbefestigten Wanderwegen ständig irgendeinen Freizeit-Ulrich rumbimmeln – Platz da, jetzt komme ich und mein Auftrag ist wichtig. Und wenn man dann mitnichten gleich wegspringt, wird man angemurrt oder gar -rempelt. Ohne Scheiß, wirklich passiert. Rempelt, rempelt.

Mein Schluß:

lange Jahre lachte ich über die lächerlichen Fitness-Studio-Zombies. Immer sagte ich: Mensch, geht doch raus in den Wald, dort ist es schön UND dort kann man Sport machen. Das hat sich geändert. Ich sage nun: verzieht Euch in Eure muffigen Muckibuden, die zu 50 % von unbefriedigten Singles frequentiert werden (und zu den anderen 50 % von unbefriedigten Nicht-Singles). Tauscht Eure Räder ein gegen Hometrainer, damit man nicht zähneknirschend zur Seite springen muß, wenn Ihr mit 50 km/h angerauscht kommt, weil Ihr alle Jan Ullrich seid – wenn auch nur in Eurer kindlichen Imagination. Macht und tut, was Ihr wollt, aber tut es nicht da, wo Leute einfach nur entspannen wollen. Danke.

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