Das ist gut erzählt, denn erklären man kann die Gleichzeitigkeit zweier Verbundenheiten (seltsamer Ausdruck) nur schwer. Dennoch ein Versuch:
Am Vorhaben der Anpeilung einer „Leitkultur“ scheitert auch die Integrationsdiskussion: sie geht von der Reinheit als Ziel aus. Reinheit der Sprache, Reinheit der Moral, Reinheit der Integrität. Dabei ist die Welt, in der Integration stattfinden soll, eine andere als das Konstrukt in den Hirnen der nationalkonservativen Kräfte. Die Welt, die echte Welt – die Realität – ist nun mal geprägt von der Gleichzeitigkeit vieler Länder mit dem Einfluß all ihrer kulturellen Einflüsse auf die MigrantInnen.
Ist jene Denkblockade – die Vorstellung, man müsse die Herkunft eines Menschen ausradieren, weil sie Integration verhindere – einmal weg, ist der Weg frei zu einer sinnvollen Vorstellung der Welt, die sich an der Realität orientiert.
Deutsche und türkische Einflüsse wie im Beispiel oben, die zusammen ein harmonisches Bild abgeben: warum nicht? Man spreche mit den vielen Menschen, bei denen das sehr gut klappt und urteile erst danach.
Es gibt keine „Reinheit der Nation“. Wer davon spricht, hat schlicht keine Ahnung von den vielen multinationalen Einflüssen in der „deutschen Nation“ (was immer das sein soll) selbst. Das betrifft den Mythos der sog. „Indogermanen“ (es gab sie nicht; das ist ein Sammelbegriff für ein Völkergemisch, das ständig auf Wanderung war) genauso wie die Unbestimmbarkeit der aktuellen „deutschen“ Kultur und ihrer Einflüsse: angesichts der Medien und ihrer Bedeutung für das tägl. Leben muß man sich doch fragen, was in Fernsehen und Internet konsumiert wird und woher es kommt. Woher kommen Blogs, die IT, die Technik, Youtube, die Popmusik, die Wikipedia usw.? Anhand dieser wenigen Beispiele wird deutlich, daß Deutschland als Begriff zwar vorhanden ist, dessen Herkunft aber nur schwer analysierbar ist. Und wenn dies – also eine Herkunftsanalyse – gelingt, zeichnen die Ergebnisse dieser Analyse doch eher das Bild eines dicht verwobenen Netzes von vielfältigen Einflüssen anderer Nationen, die wiederum selbst Netzwerke darstellen.
Integration kann also nur scheitern, wenn sie versucht, eine Art „Reinheit“ herzustellen. Es gibt keine Reinheit, nirgends: weder in der Natur (man schaue sich mal die Laboranalyse reinen Bergbachwassers an…), noch in der Kultur.
Buchtipp: „Bevor es Deutschland gab“, Reinhard Schmoeckel, Gustav Lübbe Verlag, 2004, ISBN: 3404641884
In dem Buch beschreibt der Autor, wie Cäsar einen kleinen Trick anwandte, um zuhause in Rom behaupten zu können, die Gallier endlich besiegt zu haben. Er behauptete einfach, daß östlich des Rheins keine Gallier lebten, sondern „Germanen“, womit er alle Stämme, die dort lebten und die herzlich wenig miteinander zu tun hatten oder sogar verfeindet waren, in einen Topf warf. Doch es funktionierte: „die Gallier“ waren besiegt.
Und seltsamerweise gaben „die Germanen“ dennoch keine Ruhe…
Normalerweise sollte man der Wikipedia bei derartigen Themen nicht trauen. Angesichts der Fülle gesicherten Materials aber gebe ich hier dann doch mal einen Link zum Besten:
Cäsar und die Germanen – Wikipedia
Wem auch das zu wikipedisch (sprich ungenau) ist, dem sei die Masse an ernstzunehmenden Links (ebd.) genannt, z.B. das Interview mit Jürgen Udolph, das sehr gut verdeutlicht, wie sehr Völker, Stämme und deren Sprachen und Kulturen sich gemischt haben. Wer da noch von „Reinheit“ spricht, ist völlig fehl am Platz in einer politischen Diskussion, die sich um eine deutsche Leitkultur dreht und das Integrationsproblem auf mangelnde Sprachkenntnisse von MigrantInnen beschränkt.
Filed under: Politik, Rechts ist böse, Uncategorized | Tagged: anders, Deutschland, Indoeuropäer, Indogermanen, Integration, Nationalismus, Rechtspopulismus, Türkei | Leave a comment »