Sie haben immer noch nicht gesagt, weshalb wir heute noch eine Kirche brauchen.
Sie ist das Dach über dem Kopf der Gemeinde. Solidarität entfaltet sich erst in Gemeinschaft. Es gibt aber noch eine andere Komponente. Ob Sie´s glauben oder nicht, aber beten macht in der Gemeinschaft stark.
Kompanien marschieren in Gemeinschaft für den Krieg.
Und die Gläubigen beten in Gemeinschaft für den Frieden.
Das hält Saddam Hussein nicht auf.
Sicher hat letztlich nur der Irak-Krieg dazu geführt, Saddam Hussein zu fassen. Aber war das eine ethisch richtige Entscheidung? Hat der Krieg die Region befriedet, den Menschen zu einem besseren Leben verholfen?
Wenn Sie die Exil-Irakis fragen, die vor Husseins Staatsterror fliehen mußten, werden Sie ein klares „Ja!“ erhalten.
Nur ist das nicht die einzige Folge dieses Krieges. Zählen Sie die Leichen auf dem Weg zu dieser Folge. Und überhaupt: was gibt Ihnen das Recht, Weg und Ziel einseitig zu definieren? Indem man den Krieg zugesteht, Mittel zum Zweck zu sein, muß man ja nur noch den Zweck positiv formulieren, und schon kann man die Mittel heiligen. „Weil man dadurch den bösen Hussein beseitigen konnte, war der Krieg heilig.“ – tote irakische Soldaten sind eine Folge, kein Mittel. Sie sind die Realität, die nicht unter den Tisch gekehrt werden kann. Ihre Familien sind genauso von ihrem Tod betroffen wie kene von US-Soldaten. Welchen Unterschied macht das?
Sie gehen davon aus, daß der Mensch schlecht ist: weil man in der Politik überhaupt nur erst bestehen kann, wenn man schlecht handelt – was man als Christ ja nicht darf…
…soll…
also gut: soll, sollte man von der Politik als Christ am besten die Finger lassen.
Ich sagte es bereits: sein Reich ist nicht von dieser Welt. Es gibt sicher redliche Politiker oder politische Entscheidungen, aber verantworten muß man sie erst vor Gott.
Ich nehme an, Stalin und Hitler haben nicht an Gott geglaubt. Das hat ihnen ihr Werk leicht gemacht, weil sie sich ja vor niemandem verantworten mußten.
Ich bin mir sicher, daß sie das nach ihrem Tod mußten.
Vor Gott, klar. Das hilft Millionen ermordeter Juden nicht.
Aber die Verantwortung vor Gott ist das einzige, was einen Menschen überhaupt davon abhalten kann, bei etwas wie dem Holocaust mitzumachen. Wenige gab es, die sich gegen Hitler gestellt haben. Die meisten haben sich ihre Legitimation außerhalb der Religion geholt. Pater Maximillian Kolbe ist im Hungerturm gestorben. Ihm war klar: ich kann das vor Gott nicht verantworten. Wir können uns nicht aussuchen, in welchen Zeiten unter welchen politischen Umständen wir leben. Wir können nur darüber nachdenken, was gut und was schlecht ist und dann ist es an uns, uns zu entscheiden – völlig unabhängig davon, auf welcher „Seite“ wir stehen. „Seiten“ gibt es nur zwischen menschlichen Kontrahenten. Gott steht für all das Gute, woran wir glauben. Das hat eine ganz andere Qualität als die vom menschlichen Bewußtsein erschaffene Rechtfertigung für „richtiges“ Handeln.
Es gab im Gegensatz zu Maximillian Kolbe etliche in der Kirche, die die Nazis nicht gestoppt, teilweise sogar offen unterstützt haben.
Ja, die gab es. Auch in der Kirche. Und selbstverständlich auch außerhalb. Aber die Kirche ist nicht dazu da, diese Welt zu retten. Eine ihrer – nicht-exklusiven – Aufgaben ist die Auslegung der Bibel. Diese wiederum ist die Schnittstelle zwischen der universellen Wahrheit des Evangeliums und den Anforderungen dieser Welt.
Und sie ist unfehlbar.
Nein. Das Wort Gottes, das Evangelium ist unfehlbar. Bei dessen Interpretation können selbstverständlich Fehler unterlaufen.
Dieses Unfehlbarkeits-Zeug ist für aufgeklärte West-Europäer schwer einzuordnen.
Entweder glaubt man an einen Gott oder man glaubt an die naturwissenschaftliche Erklärung des Gottesbegriffs. Der Gedanke, einerseits an eine übernatürliche Kraft zu glauben, die eine Ordnung vorgibt und andererseits natürliche oder besser: naturwissenschaftliche Erklärungen für sie zu finden, ist geradezu lächerlich. Man kann nicht an Gott glauben und das Phänomen Glaube (meist psychologisch) zu erklären versuchen, man kann an Gott glauben und dasselbe tun, man kann aber nicht an Gott glauben und ihn für einen Teil dieser Welt halten, der lediglich quantitativ verschieden von uns, ansonsten aber denselben Gesetzen unterworfen ist.
Was glauben Sie, ist der Grund dafür, daß die Leute es dennoch tun?
Wir haben Freiheit zum neuen Glauben erhoben. Der autonome Mensch steht im Mittelpunkt allen Denkens. Da paßt es nicht rein, daß es womöglich eine höhere Ordnung gibt, der er unterworfen ist. Wir akzeptieren ja kaum noch die physikalischen Grenzen unseres Seins, beispielsweise im Sport, wo Doping in Kauf genommen wird, um immer noch mehr Leistung zu bringen, aber auch in der Raumfahrt oder der Computertechnik. Dieses Denken prägt uns und wir übertragen es auf die Moral: der Mensch kann alles und immer mehr, er soll auch alles dürfen können. Ein Gott, dessen Gesetze dieses Prinzip einschränken und der Grenzen aufweist gefällt uns nicht. Eher schon ein Gott, der selbst Grenzen unterworfen ist und den wir lediglich deshalb vergöttert haben, weil wir ihn bisher nicht durchschaut haben. Es gab in den 90ern einen Roman, „Ein Mensch namens Jesus„, in dem viele seiner Wunder naturwissenschaftlich erklärt worden sind. Die Leute haben es gekauft wie die warmen Semmeln.
Was spricht dagegen, daß jeder selbst entscheiden dürfen soll, ob er an Jesus als Mensch, an Jesus als Gott oder gar nicht an Jesus glauben soll?
Nichts. Wir haben die Religionsfreiheit. Jeder kann doch denken, was er will. Gerade deswegen verstehe ich nicht, wieso Menschen sich von der Kirche eingeschränkt fühlen. Wer es nicht glaubt: nur zu. Wer aus der Kirche austreten will: bitteschön.
Warum wird man da eigentlich reingeboren und muß dann erst umständlich austreten?
Die Eltern haben das Recht, ihr Kind entsprechend ihrer Wertmaßstäbe zu erziehen. Wenn sie es taufen lassen wollen, ist das ihr Recht und selbstverständlich auch sinnvoll. Bevor Sie das ungerecht finden, bedenken Sie, daß das für alle anderen Bereiche auch gilt, z.B. politische Einstellungen, Kulturtechniken und Symbolsysteme – sie bekommen sie quasi in die Wiege gelegt und sie brauchen eine ganze Weile, das einerseits zu verinnerlichen und sich andererseits davon zu distanzieren.
Sozialisation?
Sie sagen es.
Die findet doch längst durch das Fernsehen und die Clique statt.
Auch das ist eine unkorrekte Annahme. Neben Fernsehen und Peer Group findet Sozialisation nach wie vor auch in der Familie statt, zumindest bis zu einem gewissen Alter. Die grundlegende Erziehung von Beginn an mit aller Pflege und familiären Nähe erledigen die Eltern üblicherweise von alleine und dazu gehört eben auch die Vermittlung von Werten – meist durch das Vorleben in der Familie. Der Staat kann und will das nicht machen.
Zum „umständlichen Austritt“: Sie gehen mit Ihrem Perso zum Standesamt oder Amtsgericht. Dort füllen Sie ein Formular aus, bezahlen eine Bearbeitungsgebühr und lassen dies auf Ihrer Lohnsteuerkarte vermerken. Die Kirchensteuer wird wie jede andere behandelt und diese Prozedur gilt für alle anderen steuerlichen Änderungen.
Na schön, aber warum bin ich zwangsweise Mitglied?
Sind sie nicht. Wenn Ihre Eltern Sie getauft haben, sind sie bis zum Austritt Mitglied und sollten Sie als Mitglied dann einkommensteuerpflichtig werden, werden auch Kirchensteuern abgebucht – aber auch das läßt sich ändern. Der einzige Weg, das zu verhindern, wäre, Eltern zu verbieten, ihr Kind zu taufen.
Der Staat sollte das tun, denn Eltern greifen hier in das Persönlichkeitsrecht des Kindes ein.
Sie bekommen von Geburt an die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern. Das wäre Ihrer Logik nach auch ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht seitens des Staates. In Wirklichkeit werden sie dadurch Träger von Rechten, die Sie schützen. Es ist ein Recht, Werte vermittelt zu bekommen, weil man ohne sie orientierungslos ist.
Das ist nicht das Gleiche. Durch die Taufe werde ich Träger von Pflichten, die ich nie wollte.
Ich könnte sagen: „So ist das eben mit den Pflichten, man kann sie sich nicht aussuchen.“, aber das wäre natürlich etwas fies dahergesagt. Ein wahrer Kern steckt hingegen schon drin: wenn Werte für einen Staat unabdingbar sind und diese demnach in der Familie vermittelt werden sollen, muß dies auch für die Vermittlung religiöser Werte gelten sollen. Diese Aufgabe gibt der Staat den Eltern vertrauensvoll in die Hände, weil er, der Staat, um seine Beschaffenheit als Konstrukt weiß. Weiter wäre die Bandbreite der möglichen zu vermittelnden Werte derart mannigfaltig, daß eine Ausformulierung zu schwammig wäre – sie würde einfach alles beinhalten und nichts aussagen.
Und angenommen, keiner wollte die Kirchensteuer mehr bezahlen: wer sollte denn die ganzen sozialen Dienste betreiben, die durch den Wegfall der Kirchensteuer wegfielen?
Die Kirche steckt einen Großteil in die eigene Tasche und das meiste am Kindergarten zahlt der Staat.
Ein Pfarrer ist nun mal ein Amtsträger in der Kirche. Haben Sie sich den Terminkalender eines Pfarrers mal angesehen? Vielleicht verstehen Sie dann, warum der Zölibat – egal, wie man zu ihm steht – auch Freiräume schafft. Stellen Sie sich vor, ein Pfarrer hätte eine Familie zu umsorgen… Jedenfalls ist das ein Haufen Arbeit – soll die unbezahlt bleiben? Dazu kommt eine Menge an Verwaltungsarbeit innerhalb kirchlicher Einrichtungen – vielleicht gibt es irgendwann mal Programme, die so etwas automatisch tun, im Moment geht das nicht ohne Menschen. ErzieherInnen, AltenpflegerInnen – kurz: 1 Million Beschäftigter im kirchlichen Dienst in Deutschland müssen bezahlt werden. Und dann sind noch lange nicht die Kosten für Verpflegung der Kindergartenkinder und Immobilien bezahlt. Und abgesehen davon machen das fast alle so. Die Leistungen werden öffentlich ausgeschrieben und die Träger Sozialer Arbeit bewerben sich darum. Das hat für den Staat den Vorteil, daß er sich nicht um Dinge kümmern muß, von denen er wenig bis nichts versteht. Die Träger haben Know-How und sind vor Ort. Das ist unbezahlbar. Das macht der Pari genauso wie die AWO.
Warum braucht die Kirche Immobilien?
Sollen die Kindergärten jetzt auf der Straße gehalten werden?
Mir wäre es lieber, der Staat würde selbst Soziale Arbeit tun.
Er tut es, und es ist ihm schon lange ein Klotz am Bein. Das Subsidiaritätsprinzip geht davon aus, daß der Staat sich nicht in die Belange von Bürgern einmischt – weil dieBürger sowieso besser in der Lage sind, für ihre Belange einzutreten. Da die Kirche seit Jahrhunderten Soziale Arbeit tut, hat sie ein enormes Know-How entwickelt, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dazu kommt eine funktionierende Organisation und Verwaltung. Und glauben Sie mir: reich wird die Kirche dadurch nicht. Um es genau zu sagen: niemand würde diese Jobs freiwillig und nach wirtschaftlichen Maßstäben machen. Sie rechnet sich einfach nicht. Soziale Arbeit ist eigentlich was für „Verrückte“ – oder eben Menschen, die aus Überzeugung in Kauf nehmen, damit nicht reich zu werden. Wenn Sie die Religionen abschaffen würden, gäbe es keine Caritas mehr.
Mitleid schafft ein Abhängigkeitsverhältnis.
Mitleid war der Ursprung der Sozialen Arbeit, er ist es auch heute noch bei vielen Menschen. Aber so, wie diese sich professionalisieren, tun es auch die kirchlichen Verbände. Und sie haben zur Professionalisierung beigetragen. Denken Sie, die ganzen Erkenntnisse der Sozialen Arbeit seien außerhalb des professionellen Umfeldes der Kirchen entstanden? Es gibt Dutzende katholischer Universitäten, die einen guten Ruf besitzen.
Zurück zu den Protesten: 20000 Menschen haben in Spanien öffentlich bekundet, nicht an Jesus zu glauben.
Hunderttausende haben das Gegenteil bekundet. Wieso berichten die Medien weit mehr über die Gegendemonstration als über den eigentlichen Event?
Weil die Mehrheit für das Etablissement steht. Davon ist genug in den Medien.
Das Gegenteil ist der Fall: nirgends weht der Kirche ein eisigerer Wind ins Gesicht als in Deutschland und dennoch tut man hierzulande so, als müsse man sie völlig demontieren. Dabei ist kaum noch etwas da, was man abschrauben könnte. Das Etablissement, von dem Sie reden, ist hierzulande extrem kirchenfeindlich. So sehr, daß man Berichte über den sehr gute besuchten und äußerst erfolgreichen Weltjugendtag für Anti-Kirchen-Propaganda zurechtbiegt.
Die Online-Präsenz der Tagesschau berichtete wahrheitsgemäß über Proteste.
Und sie verschwieg die Begeisterung hunderttausender junger Menschen. Sehen SIe nicht, daß das Methode hat? Da wird das ganze Jahr über wirklich jede Gelegenheit genutzt, die Kirche fertig zu machen und es gibt ja auch genügend Futter dafür, u.a. das schwindende Interesse der Jugend an Religion und Kirche – hierzulande. International betrachtet steht die Kirche mitnichten so negativ da wir in Deutschland. Das zeigt sich beim Weltjugendtag. Und das ist der Journaille ein Dorn im Auge. Also schreibt man über die im Vergleich winzige Gegendemonstration und will „Der Papst ist ein Nazi!“ gehört haben – selbst, wenns stimmt, bezeugt das doch das Boulevard-Niveau, das bei der Tagesschau kultiviert worden ist. Zurufe werden zum Inhalt eines angeblich seriösen Berichtes. Wer hat das gerufen? Warum? Was bedeutet es? „Nazi“ – das ist ein bestimmter Begriff, der gerade in Deutschland und in bezug auf Deutsche eine ganz bestimmte Bedeutung inne hat. Das einfach so unkommentiert und ohne jeden Zusammenhang in den Bericht zu schreiben, ist nichts als Hetze. Im besten Fall hieße es, der Papst werde von den Spaniern bzw. den spanischen Gegendemonstranten für einen Nazi gehalten – das wäre einer Meldung wert. Aber es war ein einzelner Zuruf, den der Redakteur gehört haben will. Dann kann er auch die anderen Beschimpfungen in den Artikel schreiben, derer es sicher viele gibt. Aber ist das seriös?
Weiter hat er „vermutet“ – und er hat das auch so geschrieben, als Vermutung! – daß die Gegendemonstranten dieselben seien, die zuletzt auch gegen die Regierung auf die Straße gegangen seien, wohingegen die Besucher des Weltjugendtages nicht zu dieser Menge gehörten. Ist das seriös? Es waren hunderttausende gegen die Regierung auf den Straßen, und der Redakteur geht einfach mal davon aus, daß diese nicht am Weltjugendtag teilnehmen. Ist er ein demografisch-telepatisch begates Medium? Wenn man schon Vermutungen anstellt, dann doch die, daß gerade die überwiegend katholischen Spanier an der kirchlichen Veranstaltung teilnehmen. Im Zweifel schreibt man nichts darüber. Oder man macht es, wie selbst für einen Anfänger im journalistischen Bereich selbstverständlich, genau: man recherchiert. Aber wozu auch? Es könnte ja herauskommen, daß die Spanier mitnichten ein Problem mit dem Papst haben.
Demnächst hier der letzte Teil des Interviews
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