Meine letzten Tage in einem freien Hort: die PIA-Praktikantin

J. macht ihre Ausbildung in unserer Krippe, ich arbeite seit 10 Jahren als Erzieher in unserem Hort. Sie fragt mich, ob ich mir vorstellen könnte, sie zwei mal die Woche nachmittags in ihrer Krippengruppe zu vertreten. Ihr 6-wöchiges Praktikum im Schülerhort hat ihr Spass gemacht, sie möchte gerne verlängern. Meine Chefin hat sie an mich verwiesen; fragen kann man ja mal.

Ich sage natürlich nein. Mir hat schon gestunken, dass ich sie insgesamt an 6 Tagen ihres Praktikums in der Krippe vertreten musste. Süffisant: erst, nachdem meine Kollegin Praktikum und Anleitung zugestimmt hatte, hatte man uns über diese Vertretung in Kenntnis gesetzt. Mein Nachhaken bei der Leitung half nichts. Ich musste tatsächlich in die Krippe, 6 Tage lang. Nach insgesamt 10 Jahren bei diesem Arbeitgeber wurde ich behandelt wie ein Tagelöhner. DU – GEHE – DA – ARBEITE – FRIEHSTICK – UND – SCHLAFWACHE – BEI – KLEINE. Denn schließlich muss der Personalschlüssel eingehalten werden. Ich fragte meine Chefin, wieso eine Unterbesetzung in Krippe ausgeglichen werden müsse und im Hort nicht – denn wenn ich in der Krippe bin, fehlt ja ebenso eine Fachkraft, dann aber im Hort. Und dann der Hammer: eine PIA-Praktikantin gilt als Fachkraft. Das zwar nur zu 25 %, aber im Moment der Anwesenheit als volle Stelle… es ist also einfach nur ein Tausch laut Stellenplan.

Der Hintergrund ist klar: es gibt eklatanten Fachkräftemangel und der wird durch die Einführung dieser unsäglichen Ausbildung ausgeglichen, auf dem Papier zumindest.

Nun ist also J.´s Praktikum vorbei und sie möchte gerne „verlängern“. Ich checks zuerst nicht, was das mit mir zu tun haben soll. Und außerdem ist das Praktikum ja auch vorbei. Doch dann, bei einem zufälligen zweiten Gespräch, verstehe ich es erst. J. will ihre PIA-Ausbildung an sich auf den Hort verlagern. Also nix Praktikum, sondern ihre Arbeit als „Fachkraft“. Es habe ihr gut gefallen bei uns (klar, sie hat sich den Arsch breitgesessen) und nun möchte sie 2 Tage die Woche mittags bei den Hortkindern sein, was hieße, ich müsste sie in der Krippe vertreten.

Ich atme langsam durch. J. ist also der Ansicht, sie könne meinen Job genauso gut machen wie ich nach 20 Jahren Berufserfahrung. Sie. Will. In. Den. Hort. Und. Ich. Soll. Weichen. Um dies zu bewerkstelligen, geht sie hinter meinem Rücken zu meiner Chefin und bietet ihr ihre Vorstellung von einem Erziehertausch-Deal an. Dass meine Chefin sie nicht selbst auf den Boden der Tatsachen runterholt, ist das eine. Danke Chef, damit zeigst du mir, wie wichtig dir meine Arbeit im Hort ist. Dass sie dem Hinweis, mich selbst zu fragen, auch noch folgt, steigert mein Entsetzen.

Selbst, wenn sie ein klasse Praktikum hingelegt hätte, wäre es ein starkes Stück gewesen, mit meiner Chefin über eine Versetzung meinerseits zu ihren Gunsten zu sprechen. Wars aber nicht. Es war eine schlechte 4. Ich war mit ihr und den Kindern im Freibad. Ganze zwei mal ist sie auch mal ans Becken gekommen, beide Male erst nach meiner freundlichen Aufforderung. Ich schätze ihren Arbeitseinsatz auf maximal 15 Minuten. Die gesamte andere Zeit saß sie am Platz, hat sich gesonnt oder in ihr Smartphone gestarrt. Und das verkauft mir meine Chefin also als „Fachkraft“. Wäre ich ihr Anleiter gewesen, hätte ich noch eine Handhabe gehabt. Aber durch die Klassifizierung als Fachkraft ist sie Gleiche unter Gleichen. Ich habe ihr nichts zu sagen.

Ich weiß nicht, was sich die Damen und Herren Politiker gedacht haben, als sie diese Ausbildung auf den Weg gebracht haben. Dieser Praktikantin jedenfalls mangelt es an den rudimentärsten Kernkompetenzen. Keine Motivation, keine Ideen, kein Pfiff, kaum Mitarbeit, und wenn, dann nur nach Aufforderung. Und das Schlimmste: sie glaubt, sie wäre auf meiner Stufe und könnte mich ersetzen und das, indem sie mich hintergeht und mit meiner Chefin spricht, bevor sie mich überhaupt fragt.

Entsetzend auch ihre fachliche Begründung für den Tausch.

Ich frage lapidar, was ich in der Krippe solle. Sie: du hast Kinder und weisst besser, wie man mit Kleinen umgeht.

Es folgt mein Versuch, ihr den Unterschied zwischen persönlicher Vaterschaft und beruflichem erzieherischen Handeln zu erklären. Allein, es fruchtet nicht. Ihr ist überhaupt nicht klar, wo der Unterschied ist. Vielleicht hätte ich es ihr an einem anderen Berufsfeld erklären sollen. Ist der technisch begabte Kumpel meines Nachbarn auf der Stufe eines Kfz-Mechanikers, nur weil er hin und wieder (schwarz) dessen Auto repariert? Hätte jemand all jenen Klein- und Kleinstanlegern beim Börsenboom vor 17 Jahren sein Gespartes anvertraut? Ist man Koch, wenn man ein paar echt leckere Sachen zaubern kann, oder muss der Profi-Koch auch noch andere Dinge können wie z.B. gut, in großen Mengen und wenn möglich günstig einkaufen können – Arbeitsabläufe und Personal koordinieren, intensiv beobachten, was andere so tun und neue, unbekannte Aromen suchen und in seine Küche einbinden können? Und vor allem: dürfen es sich diese Leute leisten, je nach Lust zu arbeiten oder müssen sie eine bestimmte Leistung in einer bestimmten Zeit erbringen?

Vielleicht hätte sie es dann kapiert. Hat sie aber nicht. Ich bin Vater und deshalb gehöre ich in die Krippe, Punkt.

OK, ich hatte in meiner Laufbahn schon etliche Praktikanten, teilweise auch schlechte, unprofessionelle. Damit muss man rechnen und das muss man ertragen, auch wenn man selbst nicht der Anleiter ist (und somit keinerlei Handhabe hat, solchen Leuten die richtigen Impulse zu geben). Das bringt mich nicht mehr durcheinander. Etwas anderes regt mich tierisch auf:

dadurch, dass PIA-Auszubildende gleichzeitig als Fachkraft gelten, nehmen Arbeitgeber, die ständig pleite sind (wie der meine), die Möglichkeit, zu billigen Arbeitskräften zu kommen, nur allzu gerne wahr. J. ist kein Einzelfall – J. ist Programm.

Es ist egal, ob ich mit so einer Pfeife arbeiten will oder nicht, mein Arbeitgeber will es. Es ist egal, ob ich es (nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit) als Degradierung auf die Stufe eines Tagelöhners empfinde, von einem Tag auf den anderen von meinem angestammten Arbeitsplatz an einen anderen versetzt zu werden, mein Arbeitgeber nimmt es in Kauf. Und dann habe ich das zu akzeptieren.

Denn die PIA-Praktikantin ist eine billige Arbeitskraft. Das heisst nicht immer, dass es auch eine schlechte Arbeitskraft sein muss, weiß ich. Aber oft genug ist es eben doch nur B-Ware, die da angespült kommt, nur dass sie von Arbeitgeber dann auch noch als A-Ware eingesetzt wird.

Ich bin immer noch entsetzt. Nicht mal so besonders vom Verhalten meines Arbeitgebers. Den werde ich wegen all dieser Verfehlungen demnächst verlassen. Nein, ich bin geschockt über die Eigenwahrnehmung dieser Praktikantin, die sich offensichtlich für mindestens genauso gut hält wie mich und die meine Versetzung damit begründet, dass ich Kinder im Krippenalter habe – und auch noch die Frechheit besitzt, mir das auch genauso zu sagen. Die sitzt mir gegenüber und plaudert locker darüber, das sie meine Versetzung für berechtigt gehalten hätte. Ich bin sauer über die Demontage des Erzieherberufs, denn nichts anderes ist es, wenn man Auszubildende auf die Stufe von Ausgebildeten stellt.

Mir ist dann irgendwann der Faden gerissen. Ich habe es ihr dann so erklärt:

du weisst doch gar nicht, ob ich meine Kinder schlage oder vergewaltige. Deiner Logik nach bin ich dann aber trotzdem geeignet als Krippenerzieher, denn ich habe ja Kinder im Krippenalter.

Danach hat sie dann doch einen Moment lang überlegt. Vielleicht besteht doch ein Unterschied zwischen privatem und professionellem erzieherischen Handeln…

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