(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft – bild.de)
Ach du meines Güte…
die Online-Präsenz der Tagesschau berichtet exklusiv über das neueste aus China: chinesische Kinder glauben, sie würden auf der Straße aufgelesen. Das Thema Sex sei in China „traditionell mit Schmutz behaftet“, Sexualität ein Tabuthema. Die aufgeklärte 38-jährige Xin Yuan, mit der der Redakteur Markus Rimmele gesprochen hat, sei anders als die Mehrzahl ihrer Landsleute.
Oha. Knapp 1,4 Mrd Chinesen, das sind 1.339.000.000 Menschen und deren Mehrzahl soll laut tagesschau.de unaufgeklärt durch die Welt laufen…?
Wie sind es dann so viele geworden? Vielleicht liegen chinesische Babys ja tatsächlich auf der Straße, wer weiß? Denn so, wie sich der Artikel liest, sind die Chinesen zum Sex einfach zu blöd. Woher kommen die vielen Chinesen denn dann? Und: haben die überhaupt Spaß beim Sex, ohne unsere Aufklärung? Erst die Segnungen der westlichen Welt scheinen, so Rimmele, Ordnung in die chinesische Welt zu bringen: über 50 % des kindlichen Wissens über Sex in China stamme aus Medien. Da fühlt man sich doch gleich etwas besser, wenn man den dümmlich-prüden Chinesen die einfachste Sache der Welt erklären kann.
(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft II – web.de)
Aber es ist nicht nur blanker Chauvinismus, der den Artikel bestimmt. Der Redakteur eines öffentlich-rechtlichen Mediums muß natürlich einen Bezug zum politischen Topos bilden: schuld ist das hinterwäldlerische Bildungssystem Chinas. Also nicht nur blanker Chauvinismus, sondern blanker politischer Chauvinismus.
Klar, es ist natürlich schmerzhaft, wenn überall auf der Welt die westlichen Finanzmärkte den Bach runtergehen und ausgerechnet das verhaßte China da die Ausnahme bildet. Da berichtet man schon lieber über die Mängel des anderen. Schließlich sind wir ja wer. Noch.
(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft III – web.de)
Nein, ich mag kommunistische Parteien nicht, besonders, wenn sie Macht haben. Aber es ist doch sehr befremdlich, daß die Stärke Chinas eine seltsame Melange aus kapitalistischer Machterzeugung (durch Geld) und kommunistischer Machtausübung ist. Wächst endlich zusammen, was zusammen gehört?
Wenn man schon von „der Bildung“ „der Chinesen“ spricht, darf man nicht unerwähnt lassen, daß sie vor tausenden von Jahren schon Hochkulturen mit Schrift, Philosophie, Mathematik, Literatur usw. hatten, während unsere Vorfahren in die Büsche geschissen haben, bis auf Kreta so etwas wie eine Kultur entstanden ist. DAS ist die Bildung der Chinesen und deren Tradition, sofern man überhaupt pauschalisierende Aussagen über die beiden Kategorien „Chinesen“ und „Bildung der Chinesen“ machen darf.
(Segnungen der freien aufgeklärten westlichen Gesellschaft IV- bild.de)
Man kann natürlich alles aus dem Blickwinkel unseres Kapitalismus-Sexismus sehen: all das altbekannte Gelaber von Sex als Weg und Ausdruck der persönlichen Freiheit, der Selbstbestätigung und auch als normativer Indikator für den Wert eines Menschen – wer keinen Sex hat, gilt hierzulande einfach weniger.
Und in bezug auf China in besagtem Artikel soll das wohl so viel heißen wie: schaut sie Euch an, die Chinesen. Wirtschaftswachstum ohne Ende aber zu blöd für Sex, da unaufgeklärt. Mittelalter. Nicht so wie wir. Gut, wir sind nicht mehr reicher als diese hinterbliebenen Kommies, aber wenigstens haben wir noch unsere überlegene demokratische Kultur.
Na, dann brauchen wir ja auch nicht von den Chinesen lernen. Perfekt sind wir ja schon.
Zumindest die google-Suche weiß: im Westen herrscht erhöhter Sexbedarf!
Oder bedeutet das, daß der Osten einfach nur mehr Sex „in echt“ hat? Oder ist der Westen doppelt so aufgeklärt (inetwa) wie der Osten? Oder ist das einfach nur eine Art Penis-Vergleich? Oooder kann google jetzt Pseudo-Lautschrift (sex-east = Sexist)? Fragen über Fragen…
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