Djokokovic ist kein Kimmich, das hat man genau gesehen

Man kann sich denken, was ich als Kroate von Djokovic halte, der zweifelhafte Aussagen über den Kosovo macht oder sich im richtigen Siegesmoment mit dem nationalistischen Drei-Finger-Gruß der Serben ablichten lässt. Es fällt nicht leicht, ihn nur im Licht seiner sportlichen Leistung zu beurteilen.

Dennoch muss man sich die Frage stellen, warum sich die Presse auf all das ausgerechnet jetzt stürzt. Lange muss man nicht überlegen, denn die Schlagzeile auf ZDFheute.de offenbart, worum es eigentlich geht: Djokovic darf an den Australian Open teilnehmen, obwohl er nicht geimpft ist, denn er ist im Besitz einer Bescheinigung, die ihm das erlaubt. Und das ist das eigentliche Problem.

Natürlich, es ist davon auszugehen, dass da was faul ist. Wo hat Djokovic so schnell eine Bescheinigung herbekommen? Fragen muss da erlaubt sein. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der inzwischen auf geltendes Recht á la Macron geschissen wird, erschreckt mich: wo auch immer er die Bescheinigung her hat, sie ist erst einmal gültig und es steht den Behörden frei, diese zu prüfen. Bis dahin ist sie gültig.

Zur Erinnerung: der von mir sehr geschätzte Maradona war spätestens nach der WM 1990 tief drin im Drogensumpf. Zinedine Zidanes Fehltritte (oder wahlweise Kopfstöße) wurden ihm allesamt verziehen bzw. immer gesondert betrachtet, nie im großen Zusammenhang. Jan Ullrich ist hierzulande trotz seines Doping-Skandals immer noch hoch angesehen als der, der den Radsport in Deutschland populär gemacht hat. Oliver Kahn durfte sich aufführen wie ein wildgewordener Affe auf dem Rasen, man hat es ihm verziehen, denn er war ja der „Titan“. Basler, hach, schließlich war er ja Künstler und nicht nur Fußballer. Katrin Krabbe, Ben Johnson – ebenfalls des Dopings überführt. Effenbergs Stinkefinger war da ja noch niedlich.

Am ehesten kann man noch Christoph Daums Fall mit jenem Djokovics vergleichen. Ja, er hatte ein Koksproblem, aber eigentlich ging es im Hintergrund um etwas anderes. Da ging es um eine alte Fehde zwischen ihm und dem, der ihn verraten hat: Uli Hoeneß. Wie verlogen das Ganze war, haben wir ein paar Jahre später gesehen, als herauskam, dass Hoeneß Millionen an der Börse verzockt hatte, wie im Rausch. Unschuldig ist doch da keiner und niemand verlangt, dass jetzt alle angezeigt werden oder niemand. Was ich verlange ist: es soll immer nur um die Sache gehen, um die eine Sache, und die heisst bei Djokovic: solange er eine Bescheinigung hat, dass er vom Impfen befreit ist, muss das gelten dürfen. Man kann auch der gegenteiligen Meinung sein, aber was hat in dieser Meinung dann die Aufzählung von Djokovics unangenehmen anderen Seiten zu tun? Was die Medien hier – wie im Fall Kimmich – machen, ist auf unterstem Boulevard-Niveau.

Das Traurige ist, dass ich mich inzwischen so daran gewöhnt habe, dass es mich nicht mal sonderlich stört. Erschreckend ist für mich aber, wie wenige Leute da draußen ebendies tun: sich daran stören. Auf die Titelseite eines der größten deutschen öffentlich-rechtlichen Leitmedien gehört keine Meinung. Da gehören Fakten hin. Ein Kommentar darf gerne darunter platziert werden, von mir aus gleich an zweiter Stelle. Damit sich der Leser selbst ein Urteil bilden kann auf der Grundlage von Fakten. Das ist heute.de mal wieder nicht gelungen, im Gegenteil: die Einreise nach Australien an sich könnte man ganz einfach als rechtlich korrekten Vorgang abhaken. Das reicht nicht für einen Sturm in der Kloschüssel. Wenn man dann aber alles, was man an Djokovic sonst so auszusetzen hat in einen Kommentar ganz oben in den Nachrichten platziert – dann sieht das schon anders aus. Der am Sport Uninteressierte könnte aufgrund Djokovics sportlicher Leistungen ja möglicherweise Sympathien entwickeln. Wenn er aber gleich dazu noch all seine Verfehlungen präsentiert bekommt (und ja, ich kann mit Djokovic sehr, sehr wenig anfangen), wird er ihm kaum eine Chance geben. Was hier passiert, ist Rufmord und entspringt keiner rechtsstaatlichen Haltung. Eigentlich sollte Machtkontrolle – und das sollte die Aufgabe von Medien ja sein – ja bedeuten, dass man gerade dann vom Waschen schmutziger Wäsche absieht, wenn jemand mit dem Rücken zur Wand steht. Aber das will ZDF heute ja nicht.

Und Abseits, lieber Praktikant vom ZDF, ist ein Begriff aus dem Fußball, nicht aus dem Tennis.

Omikron und das Stirnrunzeln des Gesundheitsministers

Heute Morgen die Schlagzeile bei ZDF-heute: „Lauterbach besorgt wegen unklarer Datenlage„.

Wir können am Beispiel Omikron täglich beobachten, wie sich manche Medien und viele Politiker rege an der Panikmache der Pharmaindustrie und deren Lobby in der Politik beteiligen. Auf heute.de gibt es gleich mehrere Beiträge zur neuen Corona-Variante:

Und natürlich die Schlagzeile des heutigen Tages:

Aber der Reihe nach. Heute morgen gab es folgende Dinge aus der Welt zu berichten:

  • die Außenministerin (das Gesicht Deutschlands im Ausland und nebenbei Vizekanzlerin) hält es für nötig, als eine der ersten Amtshandlungen erstmal die Wirtschaftsmacht China zu brüskieren.
  • Millionen armutsgefährdeter Menschen in Deutschland fragen sich, wie sie Özdemirs feuchten Traum von angemessenen Lebensmittelpreisen eigentlich bezahlen sollen.
  • der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine kommt nicht zur Ruhe. Die USA und Russland treffen sich zu Gesprächen über Krieg und Frieden und die EU hebt den Zeigefinger und piepst: „hey, wir sind auch noch da!“.
  • in Brasilien sind 31500 Menschen durch ein Hochwasser obdachlos geworden, bisher 20 Menschen gestorben.

Aber die heute-Redaktion hält das Stirnrunzeln des Gesundheitsministers für die wichtigste Meldung des Tages. Natürlich, es geht ja schließlich um die gar schröckliche Omikron-Variante. Wie schrecklich ist sie denn? Offensichtlich noch weniger schlimm als jene Delta-Variante, die seit Monaten eh schon deutlich weniger Tote fordert als alle Varianten zuvor.

Aber offensichtlich ist es möglich, die Angst alleine schon durch die Benennung einer neuen Variante zu triggern. Ursprünglich mal hatten wir (berechtigte) Angst vor Corona, denn die Todesrate war enorm hoch. Wer kann sie vergessen, die Meldungen aus Italien von Lastwägen voller Särge seinerzeit? Mit der Zeit aber hat sich eine ganze Gesellschaft, wein gesamtes Gesundheitssystem auf dieses Virus eingestellt. Es gab Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, AHA-Regeln, ein völlig anderes Verhalten in bezug auf Hygiene (Stichwort Desinfektion) und nicht zu vergessen irgendwann auch die Impfung, deren bedingte Wirkung niemand abstreiten will. Das schlägt sich in den Todeszahlen nieder. Also sollten wir entsprechend weniger Angst vor neuen Varianten haben. Wir sind darauf eingestellt und, ich kann es gar nicht oft genug wiederholen, Omikron ist ersten Untersuchungen zufolge per se weniger gefährlich als Delta, auch für Ungeimpfte.

Das scheint aber nicht mehr wichtig zu sein. „Die Weltgesundheitsorganisation hält das Risiko, das von der Omikron-Variante des Coronavirus ausgeht, weiter für sehr hoch. Die WHO warnt vor allem Ungeimpfte.„. So ist es nachzulesen in diesem Artikel auf heute.de. Damit ist aber nicht mehr eine tödliche Gefahr gemeint, sondern alleine schon die Tatsache der Ansteckung. Obwohl diese weniger zu Erkrankungen, Komplikationen oder gar zum Tod führt als Delta: „Die WHO sieht zwar ebenfalls Hinweise darauf, dass eine Infektion mit der Omikron-Variante seltener zu Krankenhausaufenthalten führt – solche Auswertungen müssten aber „mit Vorsicht“ betrachtet werden, betonte Smallwood.“. Mit Vorsicht beobachten heisst ganz sicher, dass man keine Total-Entwarnung gibt, mag sein. Vorsicht heisst aber auch, dass man nicht ins andere Extrem abdriftet, d.h. hier von einem „Risiko“ und nicht von einem „Ansteckungsrisiko“ ausgeht. Denn dass ist bei einfachen Erkrankungen der Atemwege ja auch gegeben und da spricht keiner von einem allgemeinen Risiko.

Und auf dieser Grundlage gewinnt dann die Besorgnis des inoffiziellen Vizekanzlers Lauterbach auch endlich an dem Gewicht, das ihr eigentlich fehlt. Schlimm genug, dass sich ein Teil der Gesellschaft nicht mehr um die Mortalitätsrate schert. Dass aber ein so großes öffentlich-rechtliches Medium ebenfalls nicht mehr nach dieser wichtigsten Zahl fragt, ist eine Schande. Denn gefährlich ist eine Krankheit in allererster Linie und vor allem aufgrund der Frage, ob man daran sterben kann oder nicht.

Nachrichten werden nicht „gemacht“? Hold my beer…

Seit Ende November sinkt das Infektionsgeschehen ständig. So auch heute:

13 908 Neuinfektionen (Vorwoche: 29 348)

69 Todesfälle (Vorwoche: 180)

Hospitalisierungsinzidenz: 3,26

R-Wert: 0,77

(Quelle: RKI)

Gute Nachrichten, sollte man meinen. Sowas verkauft sich aber nicht. Medien brauchen vor allem schlechte Nachrichten. Was macht also das öffentlich-rechtliche Nachrichtenmagazin „heute.de“? Ah, ja: es gibt genau einen Wert, der dem positiven Trend gegenläufig ist, und das ist die Inzidenz. Dieser ist von 220,7 (gestern) heute auf 222.7 geklettert. Und genau das wird die Überschrift.

Wow. Das ist ja fast ein (1) Prozent!!! Um genau zu sein beträgt der Wert 0,906!!! Zum Vergleich: Neuinfektionen haben sich um mehr als die Hälfte verringert, ebenso die Todeszahl. Aber was kümmert das ZDF denn Verhältnismäßigkeit bei der Berichterstattung? Wäre dem so, gäbe es eine positive Nachricht mehr neben der Tatsache, dass das Infektionsgeschen wieder abflaut und Omikron offensichtlich nicht der große Horror ist, zu dem es in diesen Medien seit Wochen gemacht worden ist.

Also: Gesamtbild ignorieren, Fokus auf ein Mosaikstückchen legen, das den Duktus des Mediums transportiert und raus damit als Schlagzeile: Sieben-Tage-Inzidenz steigt wieder.

Damit der oberflächliche Nachrichtenkonsument die Schlagzeile bekommt, die er braucht.

Kein Nazi, aber…

Die Todesstrafe ist abgeschafft. Das GroKo-Spiel.

Propaganda, das gibt es nicht bei uns. Das ist die abfällige Bezeichnung für Nachrichten, die staatstragende Funktionen übernehmen. Das heisst: solche Nachrichten sind zumeist beschönigend und nicht zutreffend. Sie sollen verhindern, dass das Volk auf die Idee kommt, etwas gegen das System zu tun, sie sollen manipulieren, verschleiern, an der Nase herumführen.

Propaganda, das gab es bei den Nazis, in der DDR, im südafrikanischen Apardheids-System. Zu anderen Zeiten, an anderen Orten, aber nicht hier, nicht jetzt, nicht in der Bundesrepublik Deutschland.

Oder doch?

Heute lese ich die Schlagzeile bei heute.de und ärgere mich. Dort werden, wie jeden Freitag, die Ergebnisse des ZDF-Politbarometers bekanntgegeben, Thema mal wieder: die Grosse Koalition. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, die Schlagzeile zu verändern und bitte den Leser darum, beide Screenshots zu betrachten und dann zu entscheiden, welcher der beiden Screens die Unwahrheit sagt.

Screen 1:

heutepropagandafinal01

Screen 2:

heutepropagandaoriginal

Auflösung

man merkt es schnell an meinen bescheidenen Bildbearbeitungs-Fähigkeiten: der erste Screenshot ist mein Fake. Jedoch: nichts daran ist inhaltlich unwahr. Ich habe sogar die Formulierungen des Politbarometers benutzt. Keiner der beiden Screenshots sagt die Unwahrheit.

Und doch wirken beide Nachrichten völlig anders auf uns.

Grund: sie sollen es auch. Im Original soll, wie seit Wochen, eine Normativität hergestellt werden, die bewirkt, dass die SPD-Basis die GroKo absegnet. Das war bereits bei dieser, dieser und dieser Meldung so. Und das ist heute nicht anders. Da man bei uns aber nicht so leicht lügen kann wie in Unrechtsstaaten, stellt man die Wahrheit eben selektiv dar. Ja, es stimmt: 82 % der Befragten erwarten, dass die GroKo kommt. Also landet das in der Schlagzeile. Dass aber 51 % eine GroKo nicht  „gut“ fänden, das erfährt man dann erst irgendwo mitten im Artikel, den sowieso nur ein Bruchteil der heute.de-Konsumenten liest.

Also: man kann diese BRD nicht mit Nazi-Deutschland, der DDR oder dem Südafrika der Buren vergleichen, beileibe nicht. Aber die Normativität der Presse ist genauso vorhanden wie die soziale Kontrolle der Bürger durch das System, nur dass es sanftere Methoden hat als jene der o.g. Unrechtsstaaten. Immerhin, die Todesstrafe ist abgeschafft.

Sommerloch, da gähnt es! Mainz, wie es schweigt und weint.

Nanu, diesen Ausblick kenne ich doch? Ist das nicht Mainz Hauptbahnhof…?

MainzHBFWenn Sie 5 Jahre lang ein mal im Monat für 1 Stunde auf diesen Tunnel starren, dann erkennen auch SIE ihn immer wieder – unter tausenden (Foto: dpa).

Es ist.

Das Bild finde ich u.a. bei diesem Artikel.

5 Jahre lang bin ich ca. ein Dutzend mal pro Jahr hier umgestiegen. Und nun vergeht Reisenden am Mainzer Bahnhof das Singen und Lachen: Züge werden umgeleitet, kommen verspätet oder gar nicht. Schuld ist Personalmangel aufgrund von Urlaub und Krankheit.

5 Jahre lang von Stuttgart Richtung Wiesbaden – das heißt in Mainz HBF umsteigen und immer, immer hatte der Anschlußzug (egal welche Richtung) Verspätung. Dabei rede ich nicht von 5 Minuten, sondern auch schon mal einer Stunde – bei 3 Minuten Aufenthalt.

Nee, bitte kein Mitleid. Wer aus Stuttgart kommt, hat ganz andere Probleme mit der Bahn.

Aber warum, frag ich mich, ist dieses Thema ausgerechnet jetzt so wichtig? Ich habe mich 5 Jahre lang über die Verspätungen am Mainzer Hauptbahnhof geärgert und nie hat das irgendjemanden gestört – am Ende sogar mich selbst nicht mehr. Ich habe einfach eine Stunde Fahrtzeit im Kopf einkalkuliert. Erbärmlich für die Bahn.

Doch ein Blick auf den Kalender macht es mir dann klar: Mitten im August; im Moment keine Hitzerekorde; kein Krokodil im Badesee weit und breit… DAS muss das SOMMERLOCH sein!!!

In dieses Biotop zieht sich der gemeine Redakteur zurück, wenn Dürre und Trockenheit die Nachrichten-Vegetation verkümmern lassen.

Und im Moment ist einfach nicht mehr los in Deutschland. Nix wie weg, sage ich da. Aber nicht mit der Bahn, wenns geht. Und meiden Sie Mainz und Stuttgart, sonst könnte es ein laanger Urlaub werden…

Kinder müssen lernen

Selten schaue ich fern. Heute habe ich dann doch mal den Fernseher eingeschaltet und eine Sendung auf ZDFinfo geschaut: 37 – nur das Beste für mein Kind.

Nicht gerade neu, aber trotzdem immer wieder beängstigend, wie sehr Menschen sich von ihrem reinen Bauchgefühl verabschieden können. Da kutschieren Leute ihre 3-jährigen Kinder zu 3 oder mehr Terminen (täglich), anstatt sie einfach mal zu fragen, was sie gerne machen möchten. Sowas hat man doch als Eltern im Bauch, oder nicht?
Diese Leute machen das nicht, weil sie ihre Kinder loshaben wollen, wohlbemerkt. So leicht will ich die nicht in die „böse-Eltern“-Ecke stellen. Sie meinen, ihrem Kind etwas Gutes damit tun zu müssen. Viel hilft ja bekanntermaßen viel und warum sollen Kinder neben Geigen- Tennis und Schwimmunterricht nicht auch noch zweisprachige Kinderschulen besuchen, wo sie nebenbei zusätzlich asiatische Schriftzeichen lernen?

Nein, das war kein undifferenzierter Bericht im ZDF. Die Kunst-Tante redet viel von assoziativem Malen, der Transformation des inneren Selbst in ein bildliches Selbst und demnach sehen die Bilder auch erfrischend unschulisch aus. Man sieht ihnen den Spaß an, mit dem die Farben verteilt, vermischt und verkleckst worden sind.

Den Eltern dürfte das egal sein. Vermutlich werden sie denken, es könne nicht schaden, wenn die Kinder früh genug mit „abstrakter Malerei“ in Berührung kommen. Es muß für alles eine Schublade geben.

Jedenfalls bin ich mir sicher, daß die Kinder hier alles andere als Geige, sportlichen Ehrgeiz oder Sprachkultur erwerben. Vielmehr lernen sie, gleich mehreren Autoritätspersonen gegenüber in die Kultur eingeführt zu werden. Daß das mal mehr, mal weniger autoritär geschieht, dürfte kaum ins Gewicht fallen. Das Gefühl die Beziehung zu einem Erwachsenen vollständig geprägt von rationaler Wissensvermittlung

und das unter ständigem Zeitdruck

zu erleben, prägt nicht nur die grundlegende Einstellung zu Erwachsenen selbst, sondern auch das Selbstbild.

Mal ganz abgesehen davon, daß bei einem derartigen Terminplan kaum noch Zeit für Bedürfnisse bleibt und die Neben-, Sub- oder wie man sie immer auch nennen mag -kultur nicht begreifbar gemacht wird. Was bringt einem Unterricht chinesischer Schriftzeichen, wenn man auf dem Weg zu diesem Termin bereits über zig Werbungen, zig Modestile, zig Comichefte an Kiosken und zig Kinder in anderen Situationen stolpert, die einem aber keiner erklärt – einfach nur deshalb, weil scheinbar keine Zeit dafür ist?

Wären es eine Handvoll armer Kinder irgendwelcher Karrieristen, die selbst nichts anderes kennen und deshalb auch nichts anderes vermitteln können, wären das Einzelschicksale, wenn auch schlimme.
Das Dumme ist nur, daß durch die falschen Schlüsse einer sowieso schon umstrittenen Studie (PISA) das Wort von der Bildung durch die Bundesrepublik geistert und unter Bildung vor allem schulische Bildung verstanden wird. Diese soll nicht etwa in Zielen, Inhalten und Methoden umgestaltet werden – sie soll einfach härter und schneller sein und vor allem früher anfangen. Am besten bereits im Krippenalter. Damit wir wieder wettbewerbsfähig werden.

Man könnte so etwas wichtiges wie Bildung ja mal vom ethisch-philosophischen Standpunkt aus angehen. Sich mal fragen, was, warum und wie wir Kindern etwas mitgeben wollen. Was es bedeutet, wenn wir einerseits aus Schulen hören, daß dort „keine Disziplin mehr“ herrscht und die einzige Antwort der Ruf nach noch mehr Disziplin ist. Und ruhig auch mal in Frage stellen, ob das Ziel, der berufliche Erfolg, alles im Leben ist.
Wenn wir nur unser eigenes Funktionieren im Blick haben und Kinder da irgendwie so hin- und durch die Schule durchschleifen, ist es doch völlig klar, daß die da irgendwann mal aussteigen, oder?

Kinder müssen nicht lernen müssen.

Sie lernen ganz von alleine.

pervers: Leute laden „Wetten Dass?“-Unfall-Video hoch

Jeder weiß, was da gerade eben im ZDF passiert ist: ein junger Mann ist verunglückt, als er mit Sprungstelzen Saltos über Autos gemacht hat.
Zunächst hat die Kamera konsequent „weggeschaut“. Dann hat Michelle Hunziker um ein Tuch gebeten, um den Leuten im Saal die Szene zu ersparen.
Dann wurde die Sendung unterbrochen und Videos vergangener Wetten-dass-Musik-Acts gespielt.
Nach ca 30 Minuten Ungewißheit kam die Entwarnung: Der Mann, Samuel, sei ansprechbar und könne seine Füße bewegen. Jedoch könne man in dieser Lage nicht einfach weitermachen. Deshalb werde die Show abgebrochen, so Gottschalk.

Natürlich bin ich nach dem Unfall so schnell wie möglich auf twitter, um das Neueste zu erfahren. Ich gab „wetten dass“ ein und wartete. Die tweets wurden angezeit. Nach ca 1 Minute machte ich einen Refresh. 1500 neue tweets. Ich wollte einfach Gewißheit haben. Erstaunlich der Inhalt vieler tweets, die ich dort lesen mußte:
a) tausende tweets, die mich darüber informierten, daß es einen Unfall gegeben hatte… na gut, das war einerseits verständlich, andererseits so sinnvoll wie Eulen nach Athen zu tragen.
b) hunderte weinende oder empörte Justin Bieber-Fans, die nicht verstehen konnten, daß die Sendung abgebrochen wurde.
c) ein paar dutzend Perverse, die Links zum eiligst hochgeladenen youtube-Video mit dem Unfall posteten.

Die ersten beiden Kategorien sind zwar irgendwie peinlich, aber verzeihlich.
Kategorie a) steht eben für den Schock, den man gerne überwinden will. Man hat nicht damit gerechnet, daß etwas passiert. Natürlich ist das alles auf Spannung ausgelegt, aber es ist eine Spannung wie bei einem Film oder einem Computerspiel… Menschen bei „Wetten dass…?“ machen die abgefahrensten Dinge, springen von einem fahrenden Auto zum nächsten oder kraxeln 30 Bierkisten in die Höhe, aber niemand rechnet wirklich damit, daß denen je mal was passiert.

Und dann passiert eben doch mal was, und zwar richtig. Der Typ lag leblos am Boden und die Leute im Saal schauten geschockt zur Bühne. Dazu der erigierte Presse-Fotografen-Graben, mit dem Zoom auf extremster Einstellung fotografierend – gespenstisch. Man ist plötzlich mit dem möglichen Tod eines Menschen konfrontiert und will einfach wissen, ob ers geschafft hat – man hat es sich ja nicht ausgesucht, das mitzukriegen. Und außerdem reichen die 4 oder 5 Sätze zur Person, die im anfänglichen Interview gegeben werden, aus, um aus einem Unbekannten eine greifbare Person zu machen, für die man eine Art Gefühle empfinden kann. Das war nicht irgendjemand – das war nach dem kurzen Interview der Samuel, ein Student der Musik, der Kindergottesdienste abhielt und auch noch bescheiden war. Den mochte man, obwohl man ihn überhaupt nicht kannte. Aber das war egal, denn man glaubte, ihn zu kennen.

Bestimmt gab es auch welche, die enttäuscht waren, aber ich war natürlich echt erleichtert, als ich die Entwarnung entgegengenommen habe.

Dann b):
da will ich gar nicht viel zu sagen… jeder war mal jung und in der Pubertät. So ist das nun mal. Als ich 8 Jahre alt war, hat mein Bruder mir erzählt, daß John Lennon erschossen worden sei. Ich wollte es nicht glauben und war sauer auf meinen Bruder. So verrückt ist Fanatismus. Und Bieber-Fans sind halt alle so ca. 8 jahre alt, also: was solls?

…aber c):
wie krank, wie pervers, wie kaltblütig muß man sein, um so schnell zu schalten? Also, um gemerkt zu haben, daß da etwas extrem Schockierendes passiert ist und man das auf youtube stellen könnte und dies auch innerhalb von 30 Minuten hingekriegt zu haben…?
Und es auch noch auf twitter zu verbreiten…?

Nee, dafür habe ich kein Verständnis. Ich bin echt kein Kulturpessimist, aber das ist einfach nur krank.

Was wird jetzt mit Gottschalk und Wetten dass…?

Ich hoffe, daß die weitermachen. Es werden Fragen gestellt werden. Fragen zur Sicherheit, zum Krisenmanagement, zur Berechtigung des Sende-Abbruchs, zur Berechtigung des nicht-sofortigen-Sende-Abbruchs, Fragen zur Ansprache Gottschalks usw. Das werden keine leichten Tage für Thomas Gottschalk.

Ich kann nur hoffen, daß er und die Sendung die folgenden stürmischen Tage übersteht. Auf twitter gab es auch gute tweets. Einer lautete sinngemäß: „bei RTL hätten sie voll draufgehalten, seid froh, daß es das ZDF war“. Genau so sehe ich das auch. Angesichts der absoluten Unkontrollierbarkeit des herrschenden Mediums Internet (man denke nur an die Perversen, die das Video vom Unfall hochgeladen haben, bevor sie wußten, ob Samuel überhaupt noch lebt) können wir froh sein, daß es noch kontrollierte Medien gibt, die zwar angesichts ihrer Kontrolle etwas spießig rüberkommen, aber andererseits genau durch diese Kontrolliertheit einen Rest Geschmack und Würde bewahren, bei sich und bei ihren Konsumenten.

Gottschalk hat übrigens bewiesen, daß er in der Lage ist, in einer extrem angespannten Lage das Richtige zu tun: er ist ruhig geblieben (obwohl er innerlich sicher genauso geschockt war wie alle anderen auch) und hat die Balance zwischen Authenzität und Beruhigung gefunden. Das ist nicht leicht in so einer Situation, da brechen andere zusammen bzw. driften in ein Extrem ab.

Ich habe mich oft über ihn geärgert, weil seine Sprüche manchmal unterirdisch sind. Ich habe oft Tränen gelacht, weil er streckenweise urkomisch ist. Aber in dieser Situation hat er bewiesen, was er wirklich draufhat: er ist Vollprofi und gleichzeitig Mensch.

Weitermachen, Gottschalk!

UPDATE:

Angesichts immer wiederkehrender Kommentare gleichen Inhalts nehme ich mal Stellung (Antwort) zu folgenden Fragen (F):
F: Warum machst DU, Feyd, das eigentlich?
A: Ich habe mir das gestern nicht ausgesucht. Und ich schaue auch „Wetten dass“ nicht wegen der gefährlichen Wetten. Mich haben die Auto-Wetten eh schon immer angekotzt und ich fand die intelligenten (wie mit dem Hund, der Luftballons mit dem Maul zerbeißt) eh schon immer besser. In dem Moment habe ich sogar gar nicht hingesehen.
F: Warum bist Du dann zum PC gerannt und hast bei Twitter nachgelesen?
A: Weil ich nolens volens mit dem Unfall konfrontiert war. Wer glaubt, das sei vorgeschoben, dem sei gesagt, daß ich mir das Video nicht reingezogen habe und auch weiter darauf verzichte. Wissen zu wollen, ob es dem Mann gut geht, hat etwas mit Sorge zu tun. Ich will ja jetzt auch nicht wissen, ob und welche Körperteile er sich geborochen hat. Ich habe ein Unglück gesehen, ohne selbst etwas dagegen tun zu können und mußte Gewißheit haben, daß es glimpflich ausgegangen ist.
F: Irgendwer lädt es sowieso hoch.
A: Irgendwer hätte die Juden in seiner Nachbarschaft sowieso verraten. Deshalb hat sich trotzdem jeder einzelne schuldig gemacht, der es getan hat.
F: Ich will mich nur informieren, um mitreden zu können.
A: Jemand ist bei einem Sprung verunglückt. Was tut es zur Sache, wenn man sieht, auf welchem Körperteil er aufkommt?
F: Warum schreibst Du einen Blog? Du willst doch auch nur Klicks!
A: Stimmt. Aber ich hatte seit gestern ca 25000 Klicks auf diesen Artikel. Es wäre jetzt ein Leichtes, einen Link zum Video oder das Video selbst einzustellen. Dann wären es vermutlich doppelt so viele. Und dafür bin ich mir zu schade. Außerdem habe ich bisher immer kritische Artikel zum Medienkonsum geschrieben. Viele davon hatten 50 Klicks und weniger. Deshalb hätte ich es trotzdem getan. Weil ich mit diesem Blog meine Meinung kundtun will – das tut jeder, aber nicht alle kontrollieren sich selbst. Ich versuche es und denke, das ist mir hier gelungen. So, und nun habe ich hier massenhaft Leser. Da kann ich nur auf meine bisherigen Artikel verweisen, die entsprechend unbekannte Nachrichten bearbeitet haben. Abgesehen davon: ist hier irgendwo etwas Voyeuristisches im Artikel?
F: Der junge Mann war sich der Gefahr bewußt.
A: Soll das heißen: richtig so, daß er verunglückt ist?
F: Der junge Mann war damit einverstanden, daß sein Auftritt medial aufgearbeitet wird.
A: Ja, aber nicht mit dem Unfall. Sonst wäre er ja angetreten, um zu verunglücken, und das kann ja wohl niemand behaupten.
F: ich bin erwachsen, ich kann selbst entscheiden, was ich sehen will, und das Video will ich sehen!
A: wenn Du so denkst, bist Du nicht erwachsen.
F: Die Welt ist nunmal pervers.
A: Ach, und da es nunmal so ist, wehren wir uns am besten gar nicht mehr dagegen…?

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